Die von den Autobauern verwendeten Abgassysteme, bei denen die Abgasreinigung außerhalb eines vorgegebenen Temperaturbereichs und ab einer bestimmten Höhenlage gestoppt wird, seien grundsätzlich Abschalteinrichtungen und verstießen gegen die europäischen Gesetze, erklärte der Generalanwalt am EuGH Athanasios Rantos in seinem Schlussplädoyer.

Thermofenster sind eine Technik der Abgasreinigung bei Dieselfahrzeugen, die von zahlreichen Autobauern eingesetzt wird. Ein Teil der Abgase wird dabei wieder in den Motor zurückgeleitet und erneut verbrannt. Dieser Mechanismus funktioniert am besten innerhalb eines bestimmten Temperaturfensters: Bei besonders warmen und vor allem bei kühleren Außentemperaturen werden weniger oder keine Abgase zurückgeführt. Dieselfahrzeuge stoßen dann mehr gesundheitsschädliche Stickoxide aus.
Thermofenster für „tatsächliche Fahrbedingungen nicht repräsentativ“
In den konkreten Fällen geht es um Klagen aus Österreich gegen Volkswagen. Österreichische Gerichte – der Oberste Gerichtshof, die Landesgerichte Klagenfurt und Eisenstadt – legten dem EuGH dazu Fragen vor. Den Klagen zufolge funktionierte die Abgasreinigung bei den betroffenen Fahrzeugen nur bei einer Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad und bei einer Höhe von unter 1.000 Metern vollständig.

Damit sei das Thermofenster für die tatsächlichen Fahrbedingungen nicht repräsentativ, erklärte der Generalanwalt. Amtliche Statistiken zeigten, dass die Durchschnittstemperaturen der Jahre 2017 bis 2019 in Österreich, Deutschland und in anderen EU-Mitgliedstaaten deutlich unter 15 Grad Celsius gelegen hätten. Aufgrund der Topografie Österreichs und Deutschlands würden die Autos außerdem oft in Höhen von mehr als 1.000 Metern fahren.
Vertragsauflösung kann verlangt werden
Nach Ansicht des Generalanwalts fällt das Thermofenster auch nicht grundsätzlich unter die Ausnahme, die für Einrichtungen vorgesehen ist, die den Motor vor Schäden schützen sollen. Ein Thermofenster schone vor allem Anbauteile, deren Funktionieren nicht den Schutz des Motors berühre, gab er an. Zulässig wäre ein Thermofenster nur, wenn es dabei Anbauteile geschützt werden, deren Fehlfunktion sich „abrupt auf den Betrieb des Motors selbst“ auswirke. VW sieht sich dadurch bestätigt: Die Thermofenster in Fahrzeugen des VW-Konzern seien zulässig, da sie genau diesen Zweck verfolgten.

Es handle sich bei einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht um eine nur geringfügige Vertragswidrigkeit, argumentierte er. Verbraucher könnten darum die Auflösung des Vertrags verlangen. Die EuGH-Richter müssen sich allerdings bei ihrem Urteil, das in einigen Monaten erwartet wird, nicht an das Gutachten des Generalanwalts halten. Sie orientieren sich aber oft daran.
Rückenwind und Wasser auf den Mühlen
"Folgt der EuGH diesen Schlussanträgen, bedeutet das auch Rückenwind für die 10.000 Sammelkläger in den Sammelklagen des VKI, "erklärte Thomas Hirmke, Leiter des Bereichs Recht im Verein für Konsumenteninformation (VKI). Es gebe nun ein weiteres Argument dafür, dass Käuferinnen und Käufer zu viel für Fahrzeuge mit mehrfach unzulässigen Abschalteinrichtungen bezahlt haben. „Außerdem droht im Worst Case ein Verlust der Zulassung oder Maßnahmen zur Nachrüstung der Fahrzeuge. Das würde für VW zu weiteren Milliardenzahlungen führen“, so Hirmke.

Auch der Verbraucherschutzverein (VSV) begrüßt das Gutachten. „Es ist Wasser auf unsere Mühlen bei den Klagen gegen die Dieselhersteller wie VW, Daimler, Mercedes, Porsche und andere“, so VSV-Obmann Peter Kolba in einer Aussendung. Der VSV bietet Betroffenen die Möglichkeit, sich ohne Kostenrisiko Klagen gegen die Autohersteller anzuschließen. Bisher ist kein Vergleich für österreichische (VW-)Kundinnen und Kunden erzielt worden – anders als in anderen Ländern, etwa Deutschland.