Der Auspuff eines Volkswagen auf einem Mitarbeiterparkplatz vor dem VW Werk in Wolfsburg (
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Sechs Jahre Dieselskandal: Noch immer kein Vergleich für Österreich

Vor genau sechs Jahren, am 18. September 2015, ist der VW-Dieselskandal aufgeflogen. Zuerst in den USA, wenige Tage später in Europa. Seitdem stellt sich die Frage nach Entschädigung für getäuschte Kundinnen und Kunden. Während in anderen Ländern bereits Geld floss, schauen Betroffene aus Österreich nach wie vor durch die Finger.

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Es ist der größte Industrieskandal der jüngeren Geschichte: Um Grenzwerte einzuhalten, hatte Volkswagen Motorsteuerungen so programmiert, dass Abgase nur auf dem Prüfstand effizient gereinigt wurden. Auf der Straße bliesen die Fahrzeuge dagegen bis zu 35 mal so viel Stickoxide wie angegeben in die Luft. Die Hauptrolle spielte der TDI-Motor mit dem Kürzel EA189. Elf Millionen Fahrzeuge des Konzerns waren und sind weltweit betroffen, in Österreich rund 400.000. Sie alle waren schlagartig weniger wert.

Fahrzeuge von Volkswagen und Audi mit Dieselmotor, die in den USA vom Konzern zurückgekauft wurden, stehen auf einem Parkplatz im US-Bundesstaat Michigan.
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Zurückgekaufte VW-Diesel-Modelle in den USA

In den USA, wo Sammelklagen mit ruinösen Urteilen gegen Beschuldigte enden können, wurde Volkswagen rasch aktiv, zahlte Entschädigungen und bot Rückkäufe an. Nicht so in Europa. Es gab Rückrufe und Nachbesserungsversuche mit zweifelhaftem Ausgang, aber keine Entschädigungsangebote für jene, deren Autos plötzlich an Wert verloren hatten. Es musste geklagt werden, von Einzelpersonen wie von Verbraucherschutzorganisationen.

Kein Geld trotz höchstrichterlicher Urteile gegen VW

„Ein erfreulicher Fakt ist, dass zwei Höchstgerichte VW eindeutig verurteilt haben“, sagt Lydia Ninz vom Verbraucherschutzverein (VSV) gegenüber help.ORF.at. „Zuerst der deutsche Bundesgerichtshof im Mai 2020 und im Dezember 2020 der Europäische Gerichtshof.“

Das deutsche Höchstgericht, der Bundesgerichtshof (BGH), urteilte, dass Volkswagen seine Kunden arglistig und vorsätzlich getäuscht hat und ihnen daher Schadenersatz zusteht. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) stellte fest, dass jede Art der Abgastrickserei verboten ist. Die Sache ist also eindeutig – könnte man meinen.

 Ein KFZ-Servicetechniker in einer Autowerkstatt hält die Abdeckung vor einem vom Abgas-Skandal betroffenen Dieselmotor vom Typ EA189.
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VW EA189: Der Diesel, mit dem alles begann

„Das Bittere ist: Dieses Urteil ist bei österreichischen Konsumentinnen und Konsumenten nicht angekommen“, so Ninz. Eine Sammelklage des deutschen Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) endete zwar mit Vergleichen in durchschnittlicher Höhe von 15 Prozent des Kaufpreises. Allerdings nur für Geschädigte in Deutschland. Betroffene aus Österreich und anderen Ländern, die sich über den Verbraucherschutzverein dem Verfahren angeschlossen hatten, gingen leer aus.

Sammelaktionen auf Eis

Dazu kommt, dass von den 16 Sammelaktionen, die der Verein für Konsumenteninformation (VKI) in Österreich startete, derzeit zwölf unterbrochen sind. Nur die Verfahren an den Handelsgerichten (HG) in Wien, St. Pölten, Korneuburg und Leoben sind gegenwärtig aktiv. Das liege zum Teil sicher an der Pandemie, aber nicht nur, so Ninz. Man warte an den Gerichten offenbar ab, bis sich der Generalanwalt des EuGH noch einmal zur Sache äußert – was für den 21. September erwartet wird. Ob es Schwung in österreichische Prozesse bringt, bleibe abzuwarten.

Ein VW Jetta mit TDI-Motor wird 2009 in den USA als „Clean Diesel“ („sauberer Diesel“) Beworben
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VW-Marketing in den USA: Die Lüge vom sauberen Diesel

An der deutschen Sammelklage waren etwas über 1.000 Betroffene aus Österreich beteiligt. Nachdem sie jedoch leer ausgehen sollten, brachte etwa die Hälfte davon mit Hilfe des VSV Einzelklagen ein. Kurz sah es so aus, als würde alles gut: Unter dem Eindruck des BGH-Urteils kündigte VW an, alle anhängigen Klagen bis Jahresende 2020 zu vergleichen.

Kein Vergleich: VW bricht Versprechen

Das geschah nicht. In 40 der rund 500 Fälle kam es zwar vorerst zu einem Vergleich, doch dann habe „VW den Schalter wieder umgelegt und jedes Verfahren ausjudizieren lassen“, so Ninz. Und das, obwohl die Angelegenheit glasklar sei. Bisher gab es auch in den nächsten Instanzen kein Urteil im Sinne Volkswagens, der Autokonzern beruft dennoch weiter.

Ein Volkswagen-Modell mit Dieselmotor beim Abgastest auf der Straße
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Abgasmessung auf der Straße

Das solle einerseits wohl von Klagen abschrecken und andererseits die Entschädigungssumme reduzieren, so die Auslegung des VSV. Denn wer das betroffene Auto weiterhin verwendet, für den oder die wird die Summe je nach gefahrener Kilometer reduziert. Volkswagen äußerte sich dazu gegenüber help.ORF.at nicht, die Anfrage blieb unbeantwortet.

Daimler, BMW und Co.: Nächste Klagswelle kommt

Für die meisten Betroffenen ist der Zug inzwischen abgefahren. Wenn sie sich nicht an einem der Verfahren beteiligt haben, sind ihre Ansprüche in der Regel verjährt. Die nächste Klagswelle zeichnet sich jedoch bereits ab, denn vorbei ist der Dieselskandal noch nicht. Bei VW und weiteren Konzernmarken sind auch andere Motoren betroffen, und auch die Konkurrenz hat offenbar manipulierte Autos verkauft.

Verrostete und beschädigte Embleme von Mercedes, BMW, Volkswagen und Audi an älteren Fahrzeugen.
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Nächste Klagswelle: Bei VW wird es nicht bleiben

Die deutsche Umwelthilfe klagt BMW wegen zu hoher Emissionen, Schadenersatzansprüche gegen Daimler wurden in einer weiteren Sammelklage gebündelt. Österreichische Betroffene können sich auch hier über den Verbraucherschutzverein anschließen. Lydia Ninz rät dringend dazu. Zwei Lehren seien aus dem Dieselskandal zu ziehen: "Man muss sich wehren, das ist wirklich ganz klar. Wenn man so ein Auto hat, muss man klagen. Und das zweite ist: Man braucht wirklich starke Verbraucherschutzorganisationen, die unabhängig, auch vom Geld unabhängig, grenzüberschreitend agieren können.

Berliner Ministerium wusste Bescheid

Spannend bleibt, ob es ein politisches Nachspiel geben wird. Aus Dokumenten, deren Herausgabe die deutsche Umwelthilfe erstritt, geht hervor, dass das deutsche Verkehrsministerium, damals unter Alexander Dobrindt (CSU), früh vom Verdacht von Abgasmanipulationen bei VW und anderen Marken wusste. Außerdem soll das Ministerium Volkswagen davon abgebracht haben, Selbstanzeige wegen falscher Abgasangaben zu erstatten und die Werte zu korrigieren. Die Anzeige hätte sich auf Herstellerangaben zum CO2-Ausstoß bezogen. Ein weiterer Wert, der unter Laborbedingungen ermittelt wurde und mit der Realität auf der Straße nichts zu tun hatte.