BILD zu OTS – Weizenkörner in einer Hand
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EU-Gesetzesentwurf: Keine Kennzeichnung für „Neue Gentechnik“

Am 24. Jänner stimmt der Umweltausschuss des EU-Parlaments über einen Gesetzesentwurf zur „Neuen Gentechnik“ ab. Dieser sieht vor, dass es für entsprechend modifizierte Lebensmittel künftig keine Kennzeichnungspflicht geben soll, die bei herkömmlicher Gentechnik hingegen verpflichtend ist. Die Umweltorganisation Global 2000 sieht darin einen Verstoß gegen das Lebensmittelgesetz.

Im Juli 2023 hat die EU-Kommission einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, der neue Gentechnikpflanzen in der EU weitgehend deregulieren würde, sagt Brigitte Reisenberger, die Landwirtschafts- und Gentechniksprecherin der Umweltorganisation Global 2000.

Neue Gentechnik mit der Genschere

Sendungshinweis

„Help“, das Ö1-Konsumentenmagazin, jeden Samstag um 11.40 Uhr in Ö1 und als Podcast.

Bei der alten Gentechnik, die es seit den 1990er-Jahren gibt, sei in das Erbgut einer Pflanze noch ein artfremder Organismus eingepflegt worden, so Reisenberger. Bei der „Neuen Gentechnik“ dagegen, werde das vorhandene Erbgut gezielt verändert: „Es können einzelne Gene abgeschaltet, ausgeschnitten oder neu kombiniert werden“, so die Gentechnikexpertin. Die bekannteste Methode sei die Genschere „CRISPR/Cas“. Eine Pflanzen, die mit neuer Gentechnik hergestellt wurde, sei die sogenannte „GABA-Tomate“ in Japan. Diese sei gentechnisch so verändert worden, dass sie angeblich eine blutdrucksenkende Wirkung habe.

Global 2000: Massiver Verstoß gegen Lebensmittelgesetz

Geht es nach der EU-Kommission, sollen Lebensmittel, die mit dieser Methode hergestellt wurden, nicht kennzeichnungspflichtig sein, so wie es bei herkömmlicher Gentechnik üblich ist. Es soll auch keine Risikoprüfung geben. Global 2000 sieht in diesem Gesetzesentwurf einen massiven Verstoß gegen das Lebensmittelgesetz: „Das vernachlässigt die Rechte von Konsumentinnen und Konsumenten auf Transparenz und auf sichere Lebensmittel“, sagt Reisenberger. So würde es etwa auf der Verpackung keinerlei Kennzeichnung darüber geben, ob neue Gentechnik verwendet worden ist oder nicht. Zudem würde im Zulassungsverfahren eventuelle Gesundheitsrisiken nicht mehr geprüft werden.

Global 2000-Expertin sieht breite Gegnerschaft

Der Eingriff in eine Pflanze mit dieser Methode sei tiefgreifend. Damit könnten auch Teile des Genoms verändert werden, sagt Reinberger. Die Wissenschaft sei sich in Hinblick auf die Risiken, die von der neuen Gentechnik ausgehen, uneinig. Das österreichische Umweltbundesamt, das deutsche Bundesamt für Naturschutz und zuletzt die französische Agentur für Lebensmittelsicherheit hätten den Vorschlag der EU-Kommission zur Deregulierung als „wissenschaftlich nicht haltbar“ bewertet. Bisherige Untersuchungen der drei Institutionen würden nahelegen, dass die Risiken, die durch natürliche Kreuzung oder Züchtung entstehen, wesentlich geringer seien als das Risiko, das von Pflanzen ausgeht, die etwa mit der Genschere verändert wurden, so Reisenberger.

BOKU-Experte unterstützt den Gesetzesentwurf

Anders sieht das Hermann Bürstmayr, der Leiter des Instituts für Pflanzenzüchtung an der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien. Bei der „Neuen Gentechnik“ handle es sich um Anwendungen, die mit spontanen Mutationen in der Natur vergleichbar seien und die zu keinen Änderungen im Genom führen, so Bürstmayr gegenüber help.ORF.at. Der Gesetzesvorschlag sei zwar ein Kompromiss, werde aber von vielen Wissenschaftlern befürwortet und unterstützt. Die weniger restriktiven Auflagen sollen auch die Nachhaltigkeitsziele der EU unterstützen, so Bürstmayr.

Brigitte Reisenberger von Global 2000 sieht das anders. Es gebe keine Belege hinsichtlich neuer Gentechnikpflanzen, die zeigen, dass Neue Gentechnik nachhaltiger sei. So habe sich etwa der Pestizideinsatz in Ländern wie Brasilien, Argentinien und USA, die sehr stark auf gentechnisch veränderten Soja gesetzt hätten, mittel- und langfristig vervielfacht.

Umweltbundesamt für umfassende Risikoabschätzung

Auch für das österreichische Umweltbundesamt ist der EU-Gesetzesvorschlag nicht akzeptabel. Eine umfassende Risikoabschätzung sei auch für Produkte mit neuer Gentechnik unbedingt notwendig, heißt es gegenüber help.ORF.at. Nur so könnten mögliche Risiken und unerwünschte Effekte, für die es zahlreiche wissenschaftliche Hinweise gebe, erfasst werden. Die fehlende Kennzeichnung sei besonders für den Biolandbau fatal, so das Umweltbundesamt.

Global 2000 hat Protestaktion gestartet

Am kommenden Mittwoch wird der Umweltausschuss des EU-Parlaments über den Gesetzesentwurf abstimmen. Global 2000 hat aus diesem Anlass eine europaweite Protestaktion gestartet, an der bisher mehr als 100.000 Menschen teilgenommen haben. Konsumentinnen und Konsumenten werde damit die Möglichkeit geboten, den zuständigen EU-Abgeordneten eine Nachricht zu schicken, in der sie sie auffordern, sich für Sicherheitsprüfungen und eine Kennzeichnungspflicht einzusetzen. „Jede E-Mail zählt“, sagt Reisenberger. Damit würden E-Mails in den Postfächern genau jener EU-Abgeordneten landen, die nächste Woche abstimmen. Es sei enorm wichtig, zu zeigen, dass viele Menschen Transparenz auf dem Teller haben wollen, und dass sie überprüfte Lebensmittel haben wollen“, so Reisenberger.