Traktor sprüht Pestizide auf ein Feld
Getty Images/iStockphoto/fotokostic
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Pestizide

Kein Pflanzenschutz ist auch keine Lösung

Viele Konsumentinnen und Konsumenten beschleicht beim Thema Pestizide ein mulmiges Gefühl. Ob und welche Pflanzenschutzmittel bei Lebensmitteln zum Einsatz kommen, ist meist undurchsichtig. Fachleute meinen allerdings auch, dass die Debatte verzerrt geführt wird. Auch der Verzicht auf Pflanzenschutzmittel berge Risiken.

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„Gespritztes“ Obst und Gemüse wird landläufig mit Gefahr assoziiert. Pestizidrückstände in Lebensmitteln sorgen immer wieder für Schlagzeilen. „Wenn irgendwo etwas nachgewiesen wurde, heißt das ja noch gar nichts, das gibt überhaupt keinen Aufschluss darüber, in welcher Konzentration oder ob das in irgendeiner Form bedenklich ist“, sagt Siegrid Steinkellner, Leiterin des Instituts für Pflanzenschutz an der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien.

Pflanzenschutzmittel als eine Maßnahme von vielen

Unter dem Begriff „Pestizide“ sind Substanzen zusammengefasst, die Schädlinge bekämpfen sollen. Bei Kulturpflanzen sind das in der Regel Tiere, Pilze, Bakterien, Viren und andere unerwünschte Pflanzen. Ziel sei immer, die Qualität der Lebensmittel zu erhalten und den Ertrag zu sichern, sagt Steinkellner. Pflanzenschutzmittel seien dabei allerdings nur eine Maßnahme von vielen.

Ob und welche Pestizide notwendig sind, hänge stark von der Region, der Witterung und der Pflanze ab. Auch die Erwartungshaltung beim Einkauf spiele eine Rolle: Wer zum Beispiel Äpfel mit perfekter Oberfläche will, müsse mit Pflanzenschutzmaßnahmen klarkommen.

Bio keine Garantie für Pestizid-Freiheit

Die Annahme, dass Bio-Produkte grundsätzlich ohne Einsatz von Pflanzenschutzmitteln hergestellt werden, sei falsch. Auch in der biologischen Landwirtschaft werden Pestizide eingesetzt, es dürfen nur keine chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel verwendet werden, sagt Steinkellner.

Im Bio-Obstbau werden zum Beispiel Kupfer oder Schwefelverbindungen verwendet, die sich negativ auf den Boden auswirken können. Daneben gebe es mikrobielle Pflanzenschutzmittel oder solche auf Pflanzenbasis: „Alle Produkte, die man in der ökologischen Landwirtschaft verwenden darf, können natürlich auch in der klassischen Landwirtschaft eingesetzt werden und werden dort auch eingesetzt“, erklärt die BOKU-Professorin.

Schimmelpilzgifte und Keime: selten beachtetes Risiko

Egal ob biologisch oder konventionell: Komplett auf Pflanzenschutzmittel zu verzichten, sei keine gute Idee, meint Steinkellner. Denn manche Schädlinge seien für den Menschen gefährlich und teilweise schon in kleinen Mengen problematisch. Getreide, das von gewissen Pilzen befallen wird, enthalte Mykotoxine, die beispielsweise Nierenschäden verursachen können.

Konrad Domig, Leiter des Instituts für Lebensmittelwissenschaften an der BOKU, hält die öffentliche Debatte zu Pestiziden für verzerrt: „Die Umfragen der europäischen Union zeigen, dass sich Österreicher vor allem vor Genetisch modifizierten Organismen (GMO) und Pestizidrückständen fürchten. Wenn wir dann die Daten anschauen, woran sie wirklich erkranken, wird deutlich, dass die Gesundheitsgefahr hauptsächlich durch falsch zusammengestellte tägliche Ernährung und pathogene Mikroorganismen entsteht.“ Pathogene Mikroorganismen sind schädliche Bakterien, Viren und Pilze, die sich auch auf der Oberfläche von Obst und Gemüse finden.

Obst und Gemüse immer waschen

„Letztendlich ist zu empfehlen, Obst und Gemüse zu waschen und auch trocken zu reiben. Aber es geht nicht nur um Pestizidrückstände, sondern auch um Mikroorganismen“, erklärt Domig.

Ob sich Pestizidrückstände durch Waschen entfernen lassen, hängt von ihrer Wirkungsart ab, sagt Pflanzenschutzexpertin Steinkellner: „Bei einem systemisch wirkenden Pflanzenschutzmittel dringt der Wirkstoff auch in die Pflanze ein, abwaschen wird da nicht viel helfen“. Oberflächlich aufgetragene Substanzen könne man durch gründliches Waschen zumindest teilweise entfernen. Ob man Obst und Gemüse schälen soll, ist Abwägungssache. Womöglich könne man dabei manche Pestizidrückstände entfernen, verliere dadurch aber wertvolle Inhaltsstoffe aus der Schale.

Hohe Lebensmittelsicherheit in der EU

Für Konsumentinnen und Konsumenten ist es fast unmöglich, herauszufinden, welche Pflanzenschutzmittel bei einem Produkt zum Einsatz kamen. „Im Endeffekt können sie drauf vertrauen, dass die Lebensmittelsicherheit in Europa so hoch ist und dass die amtliche Überwachung hier funktioniert“, sagt Domig vom BOKU-Institut für Lebensmittelwissenschaften.

Für heikle Bereiche, zum Beispiel Babynahrung, gelten in der EU besonders strenge Regelungen zu Pestizidrückständen. In der Vergangenheit wurden immer wieder Substanzen verboten und Grenzwerte angepasst. Auch alle importierten Produkte müssen die entsprechenden Vorschriften erfüllen – überprüft wird stichprobenartig.

Pestizid-Diskussion zu Umwelt und Ernährungssicherung

Um die Lebensmittelsicherheit brauche man sich bei uns keine großen Sorgen zu machen, findet auch Steinkellner. Über Pestizide diskutieren sollte man ihrer Ansicht nach trotzdem: „Die Umwelt ist ein großes Thema, da spielen Pflanzenschutzmittel durchaus eine Rolle, und es gibt Belege, dass Pestizide in manchen Bereichen negativ wirken“. In den letzten Jahrzehnten wurden zum Beispiel gewisse bienengefährdende Pflanzenschutzmittel verboten oder streng reglementiert, manche würden allerdings weiterhin eingesetzt. Hier sei die Forschung gefragt, bessere und sichere Möglichkeiten zu finden, Kulturpflanzen schädlingsfrei zu halten.

Der Professorin für Pflanzenschutz ist noch ein Aspekt wichtig: Weltweite Ernährungssicherung. „Wir in Österreich leben in einer unglaublich glücklichen Situation. Hunger ist für uns kein Thema, in anderen Ländern aber sehr wohl“. Um auf der gesamten Welt Lebensmittel in ausreichender Menge und in ausreichender Qualität sicherzustellen, könne man derzeit nicht auf Pflanzenschutzmittel verzichten, so Steinkellner.