Die Statue der Justitia am Obersten Gerichtshof (OGH),
APA/ROLAND SCHLAGER
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EU-Sammelklage: Konsumentenrecht mit Hürden

Mit der Sammelklage lassen sich Schadensansprüche einer großen Zahl von Geschädigten durchsetzen. Als Vorbild gilt hier für viele Konsumentenschützer die Sammelklage nach US-Vorbild. In Europa gibt es keine einheitlichen Vorschriften, oft zum Nachteil der Verbraucherinnen und Verbraucher. Eine EU-Reform soll Verbesserungen bringen.

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Unzulässige Gebühren im Mobilfunkvertrag oder rechtswidrige Zinsanpassungen: Fälle, in denen eine große Zahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern geschädigt werden, sind nicht selten. Oft handelt es sich dabei um kleine Beträge, für Einzelpersonen lohnt der Gang zu Gericht angesichts des Prozessrisikos und hoher Gerichtskosten kaum. In Summe ist der Schaden jedoch beträchtlich.

USA: Der freie Markt der Anwälte

In den USA können einzelne Anwälte solche Fälle stellvertretend für alle Geschädigten vor Gericht bringen, sagt der Obmann des Verbraucherschutzvereins Peter Kolba. Im Grunde gelte dort der „freie Markt der Anwälte“. Wenn ein Jurist einen Fall findet, der eine Sammelklage lohnt, dann werde diese auch betrieben, so Kolba.

Betroffene müssen sich einem solchen Verfahren nicht aktiv anschließen, es gibt im Gegenteil eine opt out-Regelung, so Kolba. Wer nicht teilnehmen will, kann sich abmelden. Dies führe dazu, dass bei US-Sammelklagen in der Regel die ganze Gruppe an Geschädigten erfasst werde, da nur wenige sich abmelden, erklärt der Verbraucherschützer. Für die Beteiligten bestehe kein finanzielles Risiko. Sollte die Klage erfolgreich sein, erhalten die Anwälte ein Erfolgshonorar, das aus der erstrittenen Schadenssumme beglichen wird.

Die Sammelklage nach österreichischem Recht

Dies sei zwar zweifellos ein finanziell lohnendes Geschäft für die Anwälte, sei aber auch der wesentliche Anreiz dafür, dass Sammelklagen in den USA auch funktionieren und in großer Zahl betrieben werden, weil Anwälte damit eine Menge Geld verdienen können, so Kolba. In Österreich ist die Situation eine andere. Hierzulande müssen Verbraucherinnen und Verbraucher entweder selbst vor Gericht ziehen oder sich aktiv einer Sammelklage anschließen, sollte eine solche eingebracht werden.

Ein Stapel Aktenordner in den Händen eines Anwalts vor Gericht
APA/Barbara Gindl
In Österreich müssen Verbraucherinnen und Verbraucher vor Gericht hohe Prozesskosten fürchten

Organisationen wie die Arbeiterkammer (AK) oder der Verein für Konsumenteninformation (VKI) können Sammelklagen in Form von Verbandsklagen führen. Teilnehmende müssen sich anmelden und treten dabei ihre Klagsrechte an den Verein ab, der dann an ihrer Stelle vor Gericht geht.

„Verbraucherorganisationen oft unzureichend finanziert“

Das führe allerdings zu enormen Streitwerten und somit zu sehr hohen Kostenrisken. Viele Sammelklagen seien daher nur bewältigbar, wenn ein Prozessfinanzierer gefunden wird, der das Risiko auf sich nimmt. Viele Verbraucherorganisationen seien außerdem staatlich und zum Teil auch schlecht finanziert, so Kolba. Daher könne man es sich oft gar nicht leisten, große Sammelklagen zu führen.

Nicht selten werden in Österreich von Verbraucherorganisationen wie dem VKI auch Einzelpersonen vertreten, deren Fälle stellvertretend für eine Vielzahl von Betroffenen stehen. Wenn es etwa um Reisekostenerstattungen oder unzulässige Klauseln in allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) geht.

Kolba: Wer nicht klagt, kriegt nix

Bei solchen Musterprozessen können höchstgerichtliche Leitentscheidungen erzielt werden, die dann für alle Betroffenen gelten sollten. Derzeit können die Gerichte die beklagten Unternehmerinnen und Unternehmer aber nicht zwingen, diese Leitentscheidungen generell für alle Betroffenen umzusetzen, so Kolba. Ein Unternehmer könne daher sagen: „Ich gebe Geld nur an den, der mich geklagt hat, und wer nicht klagt, kriegt nix.“

Peter Kolba
APA/HERBERT NEUBAUER
Verbraucherschützer Peter Kolba sieht in den Plänen zur europäischen Sammelklage einen Fortschritt aber keinen Durchbruch

Schon seit geraumer Zeit verspricht die EU Verbesserungen, von einer europäischen Sammelklage ist die Rede. Eine entsprechende Richtlinie für Verbandsklagen soll bis Ende 2022 von den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden. Ab dann soll es Gerichten auch möglich sein, im Rahmen einer erweiterten Unterlassungsklage, der so genannten Abhilfeklage, Kostenerstattungen an alle Betroffenen anzuordnen, wenn etwa durch unzulässige AGB-Bestimmungen Gewinn erwirtschaftet worden ist, so Kolba.

EU-Sammelklage: Viele Probleme bleiben ungelöst

Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, sagt Kolba. Von einer europäischen Sammelklage, die diesen Namen auch verdient, sei man dennoch weit entfernt. Entscheidende Probleme blieben nämlich ungelöst. Beispielsweise die Frage des Gerichtsstandortes und die Frage, welches Recht zur Anwendung kommt.

Das ist vor allem bei grenzüberschreitenden Auseinandersetzungen von Bedeutung. Wenn etwa eine Sammelklage in Deutschland geführt wird, können sich betroffene Ausländer zwar anschließen, es komme in der Folge aber das Recht des Schadensortes zur Anwendung. Ein deutsches Gericht müsste also österreichisches, italienisches oder spanisches Recht anwenden, je nachdem aus welchem Land der Schadensfall stammt, der vor Gericht behandelt wird.

Das führe zu einem Riesenaufwand, so Kolba. Um eine effiziente europäische Sammelklage zu ermöglichen, müsse die europäische Union auch in diesem Bereich Reformen andenken. Die neue europäische Sammelklage soll Ende 2022 umgesetzt werden und wird auch Fortschritte bringen. Amerikanische Verhältnisse, vor denen vor allem Wirtschaftsvertreter häufig warnen, werden für Konsumentenschützer aber wohl weiter ein Wunschtraum bleiben – und der Wirtschaft wohl weiter erspart bleiben.