Ein Glas Rotwein
dpa/A3471 Boris Roessler
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Keiler im Seniorenheim: 116 Weinflaschen an 91-Jährige

Vertreterbesuche gibt es auch in Seniorenheimen. Ein niederösterreichischer Weinhändler verkaufte einer betagten Seniorin jedoch eine ungewöhnlich große Menge Rotwein: 116 Flaschen im Wert von 1.250 Euro. Die Arbeiterkammer Steiermark (AK) hält die Verkaufsmethoden des Unternehmens für unseriös, die Menge an verkauftem Wein für unverhältnismäßig.

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Als der Grazer Neffe der Seniorin heuer im Jänner seine Tante im Altersheim besuchte, traute er seinen Augen nicht: In ihrem Zimmer stapelte sich ein Dutzend Weinkisten, weitere Flaschen waren in Schubladen und Kästen verstaut. Dazu ein Erlagschein über einen Betrag von über 1.250 Euro für 108 Flaschen Wein.

„Aktion Jericho“ bestellt

Übers Telefon habe man ihr die „Aktion Jericho“ schmackhaft gemacht, erzählte die Konsumentin ihrem Neffen. „Sie hat gesagt, sie hat sich über den Tisch ziehen lassen“, so der Grazer über seine 92-jährige, teildemente Tante, die nur eingeschränkt mobil ist.

Der Neffe begann zu recherchieren und erfuhr, dass bereits im April vergangenen Jahres ein Vertreter einer niederösterreichischen Firma, die sich „Weinkellerei Ferdinand Pieroth“ nennt, seine Tante im Heim besucht und ihr um 260 Euro Wein verkauft hatte. Heuer im Jänner kam es zur telefonischen Bestellung über fast 1.300 Euro. Wer dabei wen angerufen hat, wusste die 92-Jährige nicht mehr.

14 Tage Rücktrittsrecht

Verärgert wandte sich der Mann an die AK Steiermark. Grundsätzlich sei der Abschluss solcher Geschäfte legal, so Bettina Schrittwieser, Leiterin der Konsumentenschutzabteilung. „Allerdings sollte man sich schon überlegen, wie lange eine alleinstehende Dame, die nicht mehr mobil ist, benötigt, um 108 Flaschen Wein auszutrinken“, so Schrittwieser. Die Konsumentenschützerin kritisiert, dass so umfangreiche Vertragsabschlüsse in einer Pflegeeinrichtung gemacht werden.

Bei allen Verträgen, die außerhalb von Geschäftslokalen abgeschlossen werden, gilt EU-weit ein 14-tägiges Rücktrittsrecht. Wenn allerdings, wie im Falle der Firma Pieroth, Konsumentinnen und Konsumenten nicht ordnungsgemäß über ihre Widerrufsrechte aufgeklärt werden, verlängere sich die Rücktrittsfrist auf 12 Monate, so Schrittwieser.

Lieferung wurde wieder abgeholt

Wenn sich für Konsumentinnen und Konsumenten nach dem Kauf herausstellt, dass sie die Waren doch nicht benötigen, oder nicht in dieser Menge, sollten diese unbedingt sofort ihren Rücktritt erklären, so die Juristin. Bei den allermeisten Auswärtsgeschäften sei es so, dass die Unternehmen die Kosten für die Rücksendung übernehmen. So auch im Fall der Seniorin. Nachdem der Neffe im Namen seiner Tante schriftlich den Rücktritt vom Vertrag erklärt hatte, wurde die Lieferung wieder abgeholt.

Help.ORF.at gegenüber verteidigte das Unternehmen die Vorgehensweise. Die Kundin habe selbst angerufen und bestellt. Man sei der Meinung, dass ältere Personen durchaus das Recht hätten, Wein zu bestellen und zu konsumieren. Aus Sicht des Unternehmens würden alle Kunden gleich behandelt. Hinter der „Weinkellerei Ferdinand Pieroth“ steckt übrigens trotz des Firmennamens lediglich ein Direktvertrieb ohne eigene Produktion.

Seniorenheim sieht Gesetzgeber gefordert

Das Seniorenheim der Konsumentin, das Pflegeheim Lamberg in Graz, schrieb auf Anfrage von help.ORF.at, Bewohnerinnen sollten ihre Kaufentscheidungen selbstständig treffen, sowie ihren Alltag verschönern und kleine Laster ausleben dürfen. Die Konsumentin sei geschäftsfähig und könne damit ohne Rücksprache mit Dritten Geschäfte abschließen. Auch wenn die Menge von 108 Flaschen zugegeben unverhältnismäßig sei.

In der Regel würde man die bestellte Waren mit den Lieferanten abstimmen, um noch regulierend eingreifen zu können. Man bedaure, hier zu spät reagiert zu haben, sehe hier allerdings auch den Gesetzgeber gefordert, gegen solche Telefonverkäufe vorzugehen.

AK kritisiert fehlende Kontrolle

AK-Juristin Bettina Schrittwieser sieht derzeit keine rechtliche Möglichkeit, derlei Geschäftspraktiken zu unterbinden. Dass Unternehmen in Pflegeeinrichtungen gehen und dort ihre Waren verkaufen, sei durchaus üblich. Die AK würde das auch prinzipiell befürworten, „weil gerade Personen, die nicht mehr so mobil sind, dadurch die Möglichkeit haben, nicht nur alltägliche, sondern auch andere Dinge zu kaufen.“

Es sei aber problematisch, wenn solche Unternehmen in Pflegeeinrichtungen ohne weitere Kontrolle an Einzelpersonen derart umfangreiche Lieferungen durchführen. Diese Verkaufspraktik hält die Konsumentenschützerin für bedenklich. Würden ausschließlich kleinere Lieferungen durchgeführt und über die Rücktrittsmöglichkeiten ordnungsgemäß informiert, sehe man hier kein Problem, so Schrittwieser.