Was Streamingdienste alles über uns wissen

Streamingdienste haben sich längst etabliert: Fernsehen, wann man will, was man will und, dank Smartphone oder Tablet, auch wo man will, gilt vielen als selbstverständlich. Die grenzenlose Fernsehfreiheit hat aber ihren Preis. Einerseits wird jede Sekunde, die Kunden den Dienst nutzen, genau protokolliert, andererseits müssen mehrere Pay-TV-Anbieter gebucht werden, wenn man bei großen TV-Ereignisse dabei sein möchte.

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„Würde ich jemals einem Psychologen klarmachen wollen, wie es um mich bestellt ist, vielleicht würde ich ihm das Nutzungsprofil meines Netflix-Accounts schicken.“ Das schrieb die Bloggerin und Datenschutzaktivistin Katharina Nocun in einem Gastbeitrag in der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“. Und das wäre wohl auch gar keine verkehrte Vorgehensweise, meinte Thorsten Behrens, Internetombudsmann von der Watchlist Internet. Netflix und andere Internetdienste sammeln alle Datenspuren, die wir hinterlassen. Psychologen könnten hier wohl eine Menge herauslesen, und die Unternehmen tun das auch, so Behrens.

Jede Sekunde wird protokolliert

Netflix und andere Streamingdienste registrieren dabei nicht nur, welche Programme angeschaut werden, auch wie lang, zu welcher Zeit und in welcher Weise ein Programm konsumiert wird, wird penibel aufgezeichnet und verarbeitet. Spult man etwa eine Sexszene zurück, um sie nochmal zu sehen, wisse Netflix Bescheid und lasse diese Informationen in das individuelle Nutzerprofil einfließen, so Behrens.

Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) legt fest, dass personenbezogene Daten bis zu sieben Jahre gespeichert werden können. In den Datenschutzrichtlinien von Netflix heißt es eher lapidar, die Daten würden gespeichert, bis diese nicht mehr benötigt würden. An wen die Datensätze weitergegeben werden, ist nach wie vor ein Geheimnis der Anbieter.

An wen die Daten gehen, bleibt ein Geheimnis

Netflix spricht in seinen Datenschutzbestimmungen von der Netflix-Unternehmensfamilie sowie von Erfüllungsgehilfen und Auftragnehmern. Genaueres erfährt man nicht. In diesem Bereich habe die DSGVO die in sie gesetzten Erwartungen nicht erfüllt, und es werde wohl noch ein Fall für die Gerichte werden, um letztendlich zu erreichen, dass diese Informationen herausgegeben werden müssen, meinte der Internetombudsmann.

Tweet von Netflix

Screenshot Twitter

Auch auf Twitter wundert sich Netflix über so manche Filmfans

Binge-Watchern auf der Spur

Was steckt eigentlich hinter dem eher technischen Begriff „personenbezogene Daten“? Die Bloggerin Nocun hat ihr Nutzerprofil von Netflix angefordert. Ihre Angewohnheit, sich mehrere Folgen einer Serie nacheinander anzusehen, klassifiziere sie als Binge-Watcherin, also als jemanden, der ganze Serienstaffeln am Stück konsumiert, schreibt sie. Netflix weiß das und kommentiert das auch. In dem öffentlich zugänglichen Netflix-Binge-Watching-Report von 2017 heißt es etwa: „Wir wundern uns immer noch über den Typen, der sich Fluch der Karibik an 365 Tagen in Folge angesehen hat.“

Das Nutzerverhalten lasse in vielen Fällen eindeutige Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Kunden zu, sagte Behrens: "Es heißt ja nicht umsonst bei Facebook zum Beispiel: Wenn einer 300 Likes abgibt, dann kennt Facebook einen besser als der eigene Partner.

Bandersnatch: Film und Videospiel in einem

Eine erfolgreiche TV-Serie, die mittlerweile von Netflix übernommen wurde, heißt „Black Mirror“. Eine Folge der Serie trägt den Titel „Bandersnatch“. „Bandersnatch“ ist eine Mischung aus TV-Film und Videospiel. Die Handlung der Folge kann vom Publikum beeinflusst werden. Mit der Fernbedienung kann der Zuschauer Entscheidungen für die Hauptfigur treffen, die das Geschehen beeinflussen und zu unterschiedlichen Entwicklungen der Handlung führen. In einer Szene wird dem Protagonisten ein LSD-Trip angeboten. Der Zuschauer muss entscheiden: Greift er zu Drogen oder nicht?

Dass alleine diese Entscheidung tatsächlich ausreiche, um ein realistisches Persönlichkeitsbild zu erstellen, bezweifelt der Experte. Möglicherweise sei der Zuschauer hier ja tatsächlich nur am Fortgang eines Handlungsstrangs interessiert. Kombiniert mit anderen Informationen werde das Persönlichkeitsabbild aber in jedem Fall immer präziser.

Hohe Kosten durch Streamingdienste

Anders als bei anderen Angeboten im Netz zahlen Konsumentinnen und Konsumenten bei Streamingdiensten, sofern sie legal bezogen werden, aber nicht nur mit persönlichen Daten, sagte Internetombudsmann Behrens. Vor allem dann nicht, wenn man bei allen wichtigen TV-Ereignissen dabei sein möchte. Gerade beliebte Topserien würden heute meist exklusiv von nur einem Pay-TV-Anbieter zur Verfügung gestellt. Wer tatsächlich alle wichtigen Sport- und TV-Ereignisse mitverfolgen wolle, müsse zwangsläufig mehrere Anbieter buchen. Es käme auch vor, dass die Anbieter wechseln. So könne es sein, dass die ersten drei Staffeln einer TV-Serie von einem Streamingdienst angeboten werden, für die vierte Staffel müsse man dann zu einem anderen Kanal wechseln.

Diese vielen Kanäle und Anbieter werden Fernsehen letztlich wohl zu einem teureren Vergnügen machen, als man das bisher gewohnt ist, sagte Internetexperte Behrens. Wer bei allen großen TV-Events tatsächlich dabei sein möchte, der müsse bereits heute deutlich über 1.000 Euro berappen, die allein an Gebühren fällig werden.

Paul Urban Blaha, help.ORF.at

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