RH kritisiert Wildwuchs bei Gütesiegeln und „Genussregionen“

Über 100 Qualitätssiegel gibt es auf heimischen Lebensmitteln, nur wenige sind gesetzlich geregelt. Dazu kommen über 100 „Genussregionen“ mit ebenfalls unterschiedlichen Kriterien und Qualitätsansprüchen. Der Rechnungshof (RH) fordert vom Landwirtschaftsministerium rasch eine verbindliche Gesamtstrategie.

Bei Gütesiegeln und „Genussregionen“ für Lebensmittel herrscht Hochkonjunktur. Für Konsumentinnen und Konsumenten wird es immer schwieriger, sich angesichts der Vielfalt zu orientieren.

Weder Standards noch Mindestanforderungen

Es sei für Konsumentinnen und Konsumenten „nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand“ nachvollziehbar, unter welchen Voraussetzungen die Qualitätszeichen im Lebensmittelsektor vergeben werden und wer sie überprüft, so der am Freitag veröffentlichte RH-Bericht.

Verbindliche Mindestanforderungen für privat initiierte Qualitätszeichen fehlen. Diese wären aber für eine amtliche Lebensmittelkontrolle wichtig. Es gebe auch keine Standards, wie Lebensmittelverpackungen in Hinsicht auf eine Irreführung der Konsumenten kontrolliert werden können.

Nur AMA-Gütesiegel und AMA-Biosiegel gesetzlich geregelt

Gesetzlich geregelt sind in Österreich nur das AMA-Gütesiegel und das AMA-Biosiegel. Auf EU-Ebene sind es die Angaben „geschützte Ursprungsbezeichnung“, „geschützte geografische Angabe“, „garantiert traditionelle Spezialität“ sowie das EU-Biologo. An Qualitätssicherungsprogrammen teilnehmende landwirtschaftliche Betriebe und Erzeugergemeinschaften konnten Fördermittel beanspruchen. Von 2014 bis 2017 wurden dafür 42,24 Mio. Euro ausgezahlt.

AMA-Gütesiegel

ama.at

Das AMA-Gütesiegel ist gesetzlich geregelt, die Einhaltung wird überprüft

Abgesehen von den Gütesiegeln unterstützten und finanzierten Bund und Länder auch Vermarktungsinitiativen. „Das Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus förderte seit vielen Jahren verschiedene, teilweise konkurrierende kulinarische Initiativen auf Produktebene und im Gastronomiebereich, ohne diese zu koordinieren und im Rahmen einer umfassenden Strategie zu steuern“, heißt es im RH-Bericht.

Wirksamkeit der Förderungen nicht überprüft

In die Vermarktungsinitiativen (allen voran „Genussregionen“, „So schmeckt Niederösterreich“ und „Genussland Oberösterreich“), in die Netzwerkstelle Kulinarik sowie zwei Cluster flossen zwischen 2014 und 2017 rund 16 Mio. Euro an öffentlichen Mitteln von EU, Bund und Ländern. Aber „eine systematisierte Messung der Wirkung dieser mit öffentlichen Mitteln finanzierten Initiativen unterblieb“.

Gefahr der Täuschung von Konsumenten

Der Wildwuchs und die fehlenden Kriterien machten es schwer, Verbraucher vor Täuschung zu schützen, vermerkt der Rechnungshof. Das Sozialministerium koordinierte zwar die Kontrollen durch die Lebensmittelaufsicht, die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit sowie die Lebensmitteluntersuchungsanstalten.

Aber „verbindliche Vorgaben betreffend Täuschung von Qualitätszeichen fehlten, ebenso wie Mindestanforderungen für privat initiierte Qualitätszeichen als Basis des Verbraucherschutzes und für die amtliche Lebensmittelkontrolle“. In Niederösterreich und Oberösterreich gab es keine Anhaltspunkte für die Überprüfung von freiwilligen privaten Qualitätszeichen auf Lebensmitteln im Rahmen von amtlichen Lebensmittelkontrollen im Hinblick auf ihre Täuschungseignung.

Rechnungshof fordert Gesamtstrategie

Mitte 2018 gab es in Österreich 107 „Genussregionen“ zur Förderung regionaler landwirtschaftlicher Produkte. Zwar erhielten sie in zehn Jahren bis 2017 knapp 27 Mio. Euro Unterstützung, aber das Landwirtschaftsministerium „knüpfte die Förderungen an keine quantifizierbaren Ziele und verknüpfte diese Initiative nicht mit anderen kulinarischen Initiativen wie ‚Gutes vom Bauernhof‘. Unter der Marke ‚Genuss Region Österreich‘ wurden Produkte mit sehr unterschiedlichen Qualitätsansprüchen vertrieben“, so der Rechnungshof. Es fehlten teilweise auch Verknüpfungen mit den gesetzlich vorgesehenen Qualitätszeichen. Auch die Kontrollen wurden unterschiedlich gehandhabt.

Abgesehen von der raschen Freigabe einer verbindlichen Gesamtstrategie für alle kulinarischen Aktivitäten empfiehlt der Rechnungshof, Mindestanforderungen für Qualitätszeichen zu schaffen. Im nationalen Kontrollplan sollten Schwerpunktaktionen zum Thema Irreführung durch freiwillige private Qualitätszeichen vorgesehen werden. Bund und Länder sollten Indikatoren definieren, um die Wirksamkeit von Förderungen zu messen.