„Mülltaucher“ in rechtlicher Grauzone unterwegs

„Mülltaucher“ und „Dumpster Diver“ sind Menschen, die genießbare Lebensmittel aus Mülltonnen von Supermärkten fischen. Dieser Aktionismus gegen Lebensmittelverschwendung ist rechtlich problematisch. Hinzu kommt: Die „Dumpster“-Szene hat ein Ablaufdatum, denn nach und nach tauschen Supermärkte die Schlösser zu ihren Mülltonnen aus.

Sendungshinweis

„Help“, das Ö1-Konsumentenmagazin, jeden Samstag um 11.40 Uhr in Radio Ö1.

Jetzt auch als Podcast.

587.000 Tonnen an noch genießbaren Lebensmitteln werden in Österreich jährlich weggeworfen, so eine Studie der Umweltschutzorganisation WWF von 2019. 13 Prozent davon (74.100 Tonnen) an vermeidbaren Lebensmittelabfällen entfallen auf den Einzelhandel.

3.000 aktive „Mülltaucher“ in Wien

„Mülltaucher“ sind in der Regel in der Nacht unterwegs. Mit einem Postschlüssel oder Z-Schlüssel verschaffen sie sich Zugang zu Müllräumen von Supermärkten, um dort nach Lebensmitteln zu suchen, deren Mindesthaltbarkeitsdatum zwar überschritten ist, die aber dennoch genießbar sind. Geschätzte 70 bis 100 Filialen von insgesamt 700 Standorten größerer Supermärkte in Wien haben noch Müllräume, die mit einem solchen Zentralschlüssel zugänglich sind. Auf diese verteilen sich nach Angaben des Magazins „News“ rund 3.000 „Mülltaucher“.

Menschen beim "Dumpstern"

Reuters/Fabrizio Bensch

„Dumpster Diver“ holen noch genießbare Lebensmittel aus dem Müll

Das Nachmachen des Postschlüssels ist legal, da das Patent bereits abgelaufen ist. Anders verhält es sich bei den WEZ- und Magnetschlüsseln, sie bleiben grundsätzlich den Behörden vorbehalten. „Diese Schlüssel sind natürlich nicht zu bekommen. Damit liegen in jenen Containern Lebensmittel, die unerreichbar sind“, so ein Wiener „Mülltaucher“ gegenüber help.ORF.at.

„Dumpstern“ ist Diebstahl

Sich Zugang zu verschaffen ist bereits rechtlich problematisch, kritisch wird es spätestens beim „Mülltauchen“ selbst. „Denn all jene, die Lebensmittel aus Mülltonnen von Supermärkten entnehmen, begehen Diebstahl“, sagt Jurist Alexander Kern von der Rechtsanwaltskanzlei Mag. Martin Nemec. Damit von Diebstahl die Rede sein kann, müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt sein. So muss es sich um eine fremde, werthaltige Sache handeln, die man jemandem anderen wegnimmt, um sich dadurch zu bereichern.

Entsorgt man Müll einfach auf die Straße, so gibt man sein Eigentum an der Sache ab. Sie wird also herrenlos und kann daher nicht gestohlen werden. Bei Mülltonnen ist die Sache anders. Sie stehen im Eigentum des öffentlichen oder privaten Containerbetreibers. Lebensmittel, die darin landen, sind also nicht herrenlos.

Noch keine Verurteilung von „Mülltauchern“

Ob dieser Müll auch einen Vermögenswert hat, lässt sich nicht eindeutig beantworten. „Wenn ich ein Joghurt aus der Tonne nehme, bei dem das Mindesthaltbarkeitsdatum knapp nicht überschritten wurde, hat es noch einen gewissen Wert. Ich könnte es theoretisch weiterverkaufen“, sagt Kern. Nimmt jemand viel Müll aus der Tonne, könne das Müllentsorgungsunternehmen auch argumentieren, dass dadurch der Heizwert des Mülls geschmälert werden würde. Ein verdorrter oder verschimmelter Apfel habe in der Regel aber keinen Wert mehr, so Kern.

Supermärkte und Hauseigentümer können gegen „Mülltaucher“ Anzeige erstatten oder selbst Besitzstörungsklage einbringen. Obwohl „Dumpstern“ in Österreich strafbar ist, kam es bis heute - trotz einiger Anzeigen - noch zu keiner Verurteilung. Offene Verfahren gibt es keine. Meist stelle das Gericht das Verfahren wegen Geringfügigkeit ein oder biete den Angeklagten eine Diversion an, so Jurist Kern.

Nicht alle Handelsfirmen dulden „Dumpstern“

Österreichische Supermarktketten haben für das „Müll tauchen“ keine einheitlichen Vorschriften. „Wir erlauben ‚Dumpstern‘ so lange die Mülltonnen frei zugänglich sind und die Mülltaucher alles sauber hinterlassen und nichts beschädigen“, so Spar. Gerade in Wien habe der österreichische Einzelhändler oft keinen Einfluss auf die Zugänglichkeit der Müllcontainer, da sie oft von den Hausverwaltung abgesperrt werden, so Spar-Sprecherin Nicole Berkmann gegenüber help.ORF.at.

Der REWE Konzern, zu dem die Supermärkte Billa, Merkur und Penny gehören, steht „Dumpstern“ kritisch gegenüber. „Es ist nicht erwünscht, dass Personen Lebensmittel aus unseren Müllcontainern nehmen. Der Hauptgrund dafür ist, dass sich in unseren Mülleimern auch abgelaufene Produkte befinden oder es vorkommen kann, dass Rückrufartikel im Restmüll entsorgt werden müssen. Daher können wir eine Gefährdung der Müllsammler nicht ausschließen“, so REWE-Sprecher Paul Pöttschacher gegenüber help.ORF.at.

Verbot für Entsorgung von Lebensmitteln

Aufgrund der Diskrepanz zwischen Recht und Praxis verbleibt das „Dumpstern“ vorerst im Bereich der Bagatellkriminalität. Abzuwarten ist, ob der im Regierungsprogramm der neuen Bundesregierung vorgestellte „Aktionsplan gegen Lebensmittelverschwendung“ an der Zukunft der „Mülltaucher“ etwas ändert. Nach französischem Vorbild ist jedenfalls ein Verbot des Entsorgens von genusstauglichen Lebensmitteln aus dem Einzelhandel geplant. In Frankreich gibt es die Vorschrift seit 2016.

Noel Kriznik, help.ORF.at

Link:

Mehr zum Thema: