Bürgerinitiative für EU-weite Lebensmittelkennzeichnung

Frankreich, Belgien, Spanien und demnächst auch Deutschland erproben die freiwillige Nutri-Score-Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln. Ähnlich wie bei der Kennzeichnung der Energieeffizienz von Elektrogeräten wird dabei der Nährwert in einer fünfteiligen Skala von Grün für „besseren“ bis Rot für „schlechteren“ eingestuft. Einer europäische Bürgerinitiative geht das nicht weit genug: Sie fordern eine EU-weite verpflichtende Kennzeichnung im Ampelsystem.

Für Konsumentinnen und Konsumenten erkennbar ist der Nutri-Score auf der Vorderseite von Verpackungen angebracht. Karotten etwa bekommen den besten Score. ein dunkelgrünes A, gesalzene Chips liegen im Mittelfeld mit einem gelben C, Haselnussaufstriche landen im roten Bereich zwischen D und E. Der Score wird über die Inhaltsstoffe eines Lebensmittels berechnet. Zucker, Fett und Salz werden mit gesünderen Inhalten wie Proteinen, Ballaststoffen, dem Gemüse, Nuss- sowie Fruchtanteil gegengerechnet.

Abgeordnete: Krankheiten vorbeugen

Die Kennzeichnung soll eine schnelle Orientierung beim Einkaufen geben, so Biljana Borzan von der sozialdemokratischen Partei Kroatiens. Es sei zu mühsam während des Einkaufens die komplizierten Nährwerttabellen, oft auf 100 Gramm bezogen, auf der Rückseite von Verpackungen zu studieren. Gerade Müsli und Joghurts enthalten zumeist viel Zucker. „Nutri-Score ermöglicht es, Produkte leicht miteinander zu vergleichen. Auf einen Blick kann man sehen welches Müsli einen besseren Nährwert hat“, sagt die Abgeordnete. Borzan fordert die verpflichtende Einführung der Kennzeichnung auch aus gesundheitlichen Gründen. „ Die Nutri-Score Kennzeichnung ist ein Schritt um die steigenden Zahlen an Diabetes-, Krebs- und Herzkreislauferkrankungen in den Griff zu bekommen" so Borzan weiter.

Hinweis auf Nutri-Score in einem belgischen Supermarkt

APA/AFP/BELGA/Laurie Dieffembacq

In Belgien wird das Nutri-Score-System bereits verwendet

Nutri-Score nicht Allheilmittel

Der Nutri-Score habe aber auch Schwachstellen, kontern Kritikerinnen und Kritiker, wie der österreichische Lebensmittelverband. Katharina Koßdorff, Geschäftsführerin des Fachverbands der Nahrungs- und Genussmittelindustrie, lehnt die farbliche Kennzeichnung ab. Das Ampelsystem entspreche keiner neutralen Information, sondern „ einer Bewertung des Lebensmittels insgesamt“. Richtig und ausgewogen zu essen und trinken bedeute für jeden von uns etwas anderes. „Bewertungen einzelner Lebensmittel durch eine staatliche Stelle mittels Ampelfarben greifen dabei freilich zu kurz, da sie nie auf den einzelnen Verbraucher und seine individuellen Ernährungsbedürfnisse eingehen können“, sagt Koßdorff gegenüber help.ORF.at.

Eine Schwachstelle bestätigt Monique Goyens, Direktorin des Europäischen Verbraucherverbandes BEUC: Konservierungsmittel und Farbstoffe würden in die Berechnung des Nutri-Scores nicht miteinfließen. Die Kennzeichnung verrate auch nicht, ob ein Produkt nachhaltig produziert werde. „Wir müssen uns auch dessen bewusst sein, dass Nutri-Score Informationen wie Medikamente, Hormone und Antibiotikagebrauch sowie die Frage des Tierwohls nicht berücksichtigt“, meint Goyens. Der Nutri-Score konzentriere sich ausschließlich auf den Nährwert, so die Verbraucherschützerin. „Der Nutri-Score ist nicht perfekt“, ergänzt die Konsumentenschützerin. Er werde jedoch laufend verbessert, um neue wissenschaftliche Erkenntnisse einzubeziehen.

Anreiz für Hersteller?

Die Kennzeichnung von Lebensmitteln ist EU-Recht. Um die Kennzeichnung via Nutri-Score zu ermöglichen, müssen Mitgliedstaaten dies formal an die EU-Kommission melden. Etliche belgische Supermarktketten weisen vor allem Eigenmarken und Bioprodukte mit dem Nutri-Score aus. Da die Nutri-Score Kennzeichnung auf freiwilliger Basis passiert, ist unklar wie viele Lebensmittel genau gekennzeichnet sind. Die Konsumentenschützerin zieht dennoch eine positive Bilanz: „Wir sehen, dass der Nutri-Score für Hersteller einen Anreiz darstellt, die Rezeptur zu verbessern, damit Lebensmittel einen besseren Score bekommen.“

Nahaufnahme einer Nutri-Score-Bewertung

APA/dpa/Christophe Gateau

So sieht die Nutri-Score-bewertung auf einem Produkt aus

Auch Deutschland hat vor kurzem die freiwillige Nutri-Score Kennzeichnung von Lebensmittel beschlossen. Erste Produzenten haben bereits angekündigt, Nutri-Score auf ihren Produkten anzubringen. Der Entscheidung war eine lange Diskussion vorangegangen, welche Form der Nährwertkennzeichnung eingeführt wird. Der Nutri-Score konnte sich letzten Endes klar gegen andere Modelle der Nährwertkennzeichnung durchsetzen. Eine Studie des INFO GmbH Markt- und Meinungsforschung ergab, dass der Nutri-Score im Vergleich am besten verständlich ist und wahrgenommen wird.

Forderung nach EU-weiten verpflichtenden Kennzeichnung

Konsumentenschützerinnen und Konsumentenschützer sowie EU-Abgeordnete fordern, dass die EU-Kommission Nutri-Score EU-weit verpflichtend einführt. Ein Anliegen der Konsumentenschützer ist es, dass in allen Mitgliedsstaaten die gleiche Kennzeichnung geben soll und nicht verschiedene Modelle. Bis Mai 2020 sammelt auch eine Europäische Bürgerinitiative Unterstützung für den verpflichtenden Nutri-Score. Werden mehr als eine Million Unterschriften gesammelt, muss die EU-Kommission tätig werden. Koßdorff erwartet, dass noch dieses Jahr ein Bericht vorgelegt werde, der Klarheit schaffe, „ob die EU-Kommission ein gesetzliches EU-einheitliches Farbmodell für die Nährwertdeklaration festlegen wird“.

Das Sozialministerium, das auch für die Lebensmittelkennzeichnung und den Konsumentenschutz zuständig ist, bestätigt, dass sich die nationale Ernährungskommission noch dieses Jahr mit dem Nutri-Score befassen werde: „Aus fachlicher Sicht wäre der in Frankreich gut funktionierende und evaluierte Nutri-Score eine der grundsätzlichen Umsetzungsmöglichkeiten“. Die Entscheidung, ob der Nutri-Score in Österreich eingeführt werde, „wird aber erst durch die zukünftigen Bundesregierung getroffen werden“, meint eine Sprecherin des Ministeriums gegenüber help.ORF.at.

Julia Schönherr, ORF Brüssel für help.ORF.at

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