Pampers bringt „smarte“ Windeln auf den Markt

Ab Herbst sollen in den USA „smarte“ Windeln von Pampers erhältlich sein. In Kombination mit einer Smartphone-App und einer Videokamera wird erfasst, ob die Windel nass ist und wann sich das Baby bewegt. Die Windelinnovation will den Alltag mit Baby durch umfassendes Tracking erleichtern, doch es gibt Bedenken bezüglich Daten- und Umweltschutz. Auch Hebammen sehen die Windeln mit Sensor kritisch.

Sendungshinweis

„Help“, das Ö1-Konsumentenmagazin, jeden Samstag um 11.40 Uhr in Radio Ö1.

Jetzt auch als Podcast.

Möglichst viele Daten erfassen

Lumi by Pampers heißt das System, das mit „smarten“ Windeln, einer Videokamera und einer Smartphone-App den Alltag mit Baby erleichtern soll. Die speziellen Windeln können dafür mit einem Aktivitätssensor ausgestattet werden, der misst, ob die Windel „trocken“, „nass“ oder „sehr nass“ ist und ob sich das Baby bewegt. Der Stuhlgang dagegen wird nicht erfasst. Die zugehörige Videokamera von Logitech hat eine Nachtsichtfunktion und registriert außerdem Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit.

Die erhobenen Daten werden in einer Smartphone-App gebündelt, in der Eltern zusätzliche Informationen eintragen können, z. B. wann das Baby gefüttert wurde. Eltern erhalten mit dem System einen Überblick über das Schlafverhalten, die Häufigkeit des Windelwechselns und Fütterns ihres Kindes. „Track just about everything“, lose übersetzt „Zeichne praktisch alles auf“, ist das Motto für die „Pampers Lumi“.

Das Produkt Pampers Lumi von Procter & Gamble

Pampers/Procter & Gamble

So werden die vernetzten Windeln von Pampers aussehen

Der Preis für das „smarte“ Windelsystem ist noch nicht bekannt, Interessierte in den USA können sich aber gegenwärtig schon auf eine Warteliste setzen lassen.

Fragwürdiger Nutzen für Eltern

Pampers erklärt auf Anfrage, dass das System dabei helfen soll, Muster im Tagesablauf eines Kindes zu erkennen und Alltagsroutinen zu entwickeln: „Lumi ist besonders geeignet für alle Eltern, die zusätzlich zu ihrer Intuition auch Informationen über den Rhythmus ihres Babys erhalten möchten, um so ihre Fürsorge zusätzlich zu verbessern“. Der Hersteller empfiehlt die Windeln mit Sensor für das erste Lebensjahr.

Martina Koll-Braun vom Hebammenzentrum Wien hält die Windelinnovation für überflüssig: „Die Unsicherheit, wie oft Windeln zu wechseln sind, ist bei Eltern durchaus da. Aber Babys geben klare Zeichen, wenn sie etwas brauchen.“ Sein Kind zu beobachten, wäre weit besser als auf eine App zu schauen.

Das österreichische Hebammengremium warnt, dass manche Babys im Smartphone schon jetzt einen mächtigen Konkurrenten um die Aufmerksamkeit ihrer Eltern haben. Wenn der Alltag von Eltern dennoch durch technische Innovationen erleichtert werden könne, sollte die gewonnene Zeit unbedingt für die spielerische Beschäftigung mit dem Baby genutzt werden.

Windeldaten in der Cloud

Pampers betont, dass die gesammelten Informationen „verschlüsselt in einer sicheren Cloud“ gespeichert würden, sodass nur die Eltern darauf zugreifen könnten. Hilda Tellioglu, Professorin für Informatik und Mitglied in der Forschungsinitiative „Centre for Informatics & Society“ der Technischen Universität Wien (TU) weist darauf hin, dass es keine hundertprozentig sicheren Systeme gebe: „Wir wissen nicht, wo diese Datenbestände abgelegt werden, wem sie weitergegeben werden, wann sie wieder auftauchen und ob sie irgendwann gegen uns verwendet werden können.“

Die TU-Professorin sieht in den „smarten“ Windeln einen Marketingschmäh, auf den sich Konsumentinnen und Konsumenten nicht unüberlegt einlassen sollten: „Das Mitprotokollieren von Daten für kommerzielle Zwecke ist gang und gäbe, das bedeutet, dass viel über uns entschieden wird, ohne dass uns das transparent ist“.

Pinkeln, Schlafen, Essen: Keine „harmlosen“ Daten

Die Daten aus der Windel-App mögen auf den ersten Blick harmlos erscheinen. Informatikprofessorin Tellioglu widerspricht dieser Annahme: „Es gibt meiner Meinung nach keine sinnlosen Daten, mit geschickten Abfragen kann man aus allen Daten etwas ableiten.“ Man sollte bedenken, dass beispielsweise der Standort des Babys auch den Standort der Eltern verrät - eine Information, die für gezielte Werbung sehr wichtig ist.

Was man in Zukunft alles mit den Windeldaten anfangen könne, sei zudem überhaupt noch nicht abzusehen, so Tellioglu. Schon heute könne man über verschiedene Faktoren wie Alter, Herkunft und Beruf Eigenschaften errechnen, die eine Person womöglich lieber für sich behalten würde. Eltern tragen deshalb eine besondere Verantwortung für die Daten ihres Babys.

Wegwerfprodukt mit intransparenter Funktionsweise

Tellioglu kritisiert die Intransparenz der Windeltechnologie: „Wir wissen nicht, was in dem Sensor eigentlich alles passiert und was aufgezeichnet wird.“ Als Endnutzerin und Endnutzer hätte man zum Beispiel auch keine Chance festzustellen, wenn Daten schon zwischen Sensor und Smartphone abgefangen würden. Außerdem könne man die Sensoren nicht reparieren, weil sie von vornherein als Wegwerfprodukt konzipiert seien.

Pampers betont, dass die Lumi-Sensoren nur etwa alle drei Monate ersetzt werden müssen und nicht mit jeder einzelnen Windel weggeworfen werden. Doch bei der Verwendung von Einwegwindeln entsteht pro Kind ohnehin schon etwa eine Tonne Müll, vorausgesetzt, es geht mit etwa drei Jahren aufs Töpfchen. Mit „smarten“ Windeln verursachen Eltern zusätzlich eine beträchtliche Menge an vermeidbarem Elektroschrott.

Einsatzmöglichkeiten abseits des Babypopos

Man sollte neue Technologien nicht pauschal ablehnen, sondern immer Nutzen und Risiken abwägen, betont Tellioglu. So können Windelsensoren trotz allem nützlich sein: „Für behinderte Erwachsene, die in Institutionen sind und lange nicht betreut werden, wäre die Technik zum Beispiel interessant.“

Jana Wiese, help.ORF.at

Mehr zum Thema: