Landwirt spritzt Felder
dpa/Patrick Pleul
dpa/Patrick Pleul

„Historische Chance“: EU plant Pestizidreduktion um 50 Prozent

Der Pestizideinsatz in der Landwirtschaft soll bis 2030 halbiert werden so sieht es ein Gesetzesvorschlag der EU-Kommission vor. Global 2000 sieht darin eine „historische Chance“ im Kampf gegen das Artensterben. Laut der Umweltorganisation versucht das österreichische Landwirtschaftsministerium den Gesetzesentwurf jedoch zu blockieren, über den im Frühsommer entschieden werden soll.

Pestizide sind Chemikalien, die seit 70 Jahren in der Landwirtschaft zunehmend eingesetzt werden, um sich gegen unerwünschte Insekten oder Unkraut zu schützen und die Erträge zu maximieren, sagt Biochemiker Helmut Burtscher-Schaden von Global 2000. Sie würden die Artenvielfalt bedrohen, womit sie ein wesentlicher Faktor für die Biodiversitätskrise seien: Eine der derzeit größten langfristigen Bedrohungen der Menschheit, so Burtscher.

Sendungshinweis

„Help“, das Ö1-Konsumentenmagazin, jeden Samstag um 11.40 Uhr in Radio Ö1 und als Podcast.

Dritter Anlauf in 30 Jahren

Zweimal habe sich die EU-Kommission bereits gegen Pestizide eingesetzt: Anfang der 1990er-Jahre mit einer Absichtserklärung und 2009 mit ersten Gesetzen für eine Pestizidreduktion. Ohne Erfolg: Wurden in den 1990er-Jahren EU-weit noch 200.000 Tonnen Pestizide ausgetragen, läge man seit mehr als zehn Jahren bei 250.000 Tonnen.

Dazu komme: die Pflanzenschutzmittel werden immer höher konzentriert und damit giftiger. Die Rückstände der Pestizide würden sich im Hausstaub nachweisen lassen, in Obst und Gemüse, aber auch im menschlichen Körper, sowohl im Gewebe als auch im Blut. Das sei gesundheitsschädlich, so Helmut Burtscher.

Risiken für Anwohner und Anwender

Es gebe einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen, Erkrankungen des zentralen Nervensystems sowie Autismus-Spektrum-Störungen und der Nähe des Wohnorts zu landwirtschaftlich intensiv bewirtschafteten Regionen, so Burtscher. Außerdem würden zahlreiche epidemiologische Studien belegen: Anwenderinnen und Anwender von Pestiziden hätten ein höheres Risiko, an bestimmten Krebsarten zu erkranken, aber auch Fruchtbarkeitsstörungen und Fortpflanzungserfolgsschäden zu erleiden, deren Folge Fehlgeburten und Missbildungen seien können.

Landwirtschaftsministerium bremst, fürchtet Versorgungslücken

Im Juni 2022 hat die EU-Kommission nun einen neuen Gesetzesvorschlag präsentiert, nachdem der Pestizideinsatz in der Landwirtschaft bis 2030 um 50 % reduziert werden soll. Global 2000 sieht darin eine historische Chance. Doch ausgerechnet von Seiten des österreichischen Landwirtschaftsministeriums werde dagegen interveniert, sagt Biochemiker Helmut Burtscher.

Das Hauptargument sei, in Zeiten des Krieges könne man es sich nicht leisten, weniger zu produzieren. Dabei zeige die biologische Landwirtschaft, dass es völlig ohne Einsatz chemischer Pestizide möglich sei, Lebensmittel in ausreichender Qualität und Quantität zu produzieren, so Burtscher. Zudem würden zahlreiche Studien belegen, dass sich bei einer Pestizidreduktion von 50 bis 70 % in der überwiegenden Anzahl der Fälle gar nichts ändert, so der Biochemiker.

„Erweiterte Folgenabschätzung“ gefordert

Auch gegenüber help.ORF.at verweist das Landwirtschaftsministerium auf den Ukrainekrieg und die damit verbundene Versorgungsunsicherheit. Was die Pestizidreduktion betrifft, fordere man deshalb eine „erweiterte Folgenabschätzung“. Der bestehende Gesetzesentwurf stelle ein erhebliches Risiko für die gesicherte Lebensmittelversorgung dar. Das Gesundheits- und das Umweltministerium schrieben an help.ORF.at: man unterstütze die Initiative der EU-Kommission, auch wenn in manchen Bereichen noch Diskussionsbedarf bestehe.

Abstimmung im Frühjahr, Petition gestartet

Im Frühsommer soll die EU-weite Pestizidreduktion zur Abstimmung kommen. Zur Unterstützung des Gesetzesentwurfs hat Global 2000 vergangenen Mittwoch eine Petition gestartet. Der Titel: „Gift für die Biene. Gift für dich. Beenden wir die toxische Beziehung!“ Sollte es tatsächlich gelingen, bis 2030 in der Landwirtschaft nur noch die Hälfte der Pestizide auszuführen, wäre das eine große Chance, die Biodiversitätskrise abzumildern, sagt Helmut Burtscher.

Er hofft, dass die Reduktion dazu führt, dass Landwirtinnen und Landwirte die Erfahrung machen, dass sie ohne die Pestizide, die sie seit Jahrzehnten ausführen, sogar bessere Ergebnisse erzielen. „Wenn wir es aber nicht schaffen, dann glaube ich, ist der Zug abgefahren“, so Burtscher. Das Zeitfenster für Maßnahmen zur Eindämmung des Artenverlusts schließe sich. Das würden sowohl die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Weltklimarates als auch jene des Weltbiodiversitätsrates bestätigen.