Stromzähler
dpa-Zentralbild/Patrick Pleul
dpa-Zentralbild/Patrick Pleul

Strom und Gas: Wer ein Recht auf Grundversorgung hat

Die astronomischen Energiepreise kommen nun endgültig bei Verbraucherinnen und Verbrauchern an. Etliche Jahresabrechnungen sind verschickt, vor allem die neuen Teilzahlungsbeträge treffen viele wie ein kräftiger Schlag in die Magengrube. Eine Möglichkeit, die Abgabenlast zu senken, ist die Grundversorgung. Aber dürfen sich tatsächlich alle Verbraucherinnen und Verbraucher auf dieses Recht berufen?

Sendungshinweis

„Help“, das Ö1-Konsumentenmagazin, jeden Samstag um 11.40 Uhr in Radio Ö1 und als Podcast.

Niemand soll in Österreich ohne Strom und Gas dastehen. Daher gibt es ein gesetzlich garantiertes Recht auf die Grundversorgung mit Energie. Die „Pflicht zur Grundversorgung“ bei Strom ist im Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWOG) geregelt, jene für Gas im Gaswirtschaftsgesetz (GWG). Im ElWOG heißt es dazu unter anderem: „Stromlieferanten sind verpflichtet, zu ihren geltenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen Verbraucher, die sich ihnen gegenüber auf die Grundversorgung berufen, mit elektrischer Energie zu beliefern.“

Antrag auf Grundversorgung per Brief oder Mail

Spezielle Einschränkungen nahm der Gesetzgeber nicht vor, sagt dazu Christina Veigl, sie leitet die Endkundenabteilung bei der zuständigen Regulierungsbehörde E-Control. Somit können sich Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber einem beliebigen Energieunternehmen, das die entsprechende Region beliefert, auf ihr Recht auf Grundversorgung berufen. Das könne man etwa per Brief oder E-Mail erledigen, so Veigl, ein entsprechender Musterbrief findet sich auf der Webseite der E-Control.

Genaue Grundversorgungstarife hat der Gesetzgeber nicht festgelegt, im ElWOG heißt es dazu: „Der Tarif darf nicht höher sein als jener, zu dem die größte Anzahl der Kunden eines Unternehmens versorgt wird.“ Der Tarif orientiert sich also an den aktiven Bestandsverträgen des Energielieferanten. Eigentlich sei das Gesetz nicht dazu gedacht gewesen, um Geld zu sparen, sagt E-Control-Expertin Veigl.

Grundversorgung ursprünglich für Notfälle gedacht

Die gesetzliche Regelung sei geschaffen worden, um dafür zu sorgen, dass Personen, die auf regulärem Weg keinen Liefervertrag bekommen oder bereits mit der Abschaltung bedroht sind, in jedem Fall einen Vertrag erhalten, so Veigl. Der Grundversorgungstarif sei definiert worden, um sicherzustellen, dass die Betroffenen zu „normalen Bedingungen“ mit Energie beliefert werden.

Frau sitzt vor einem Tisch mit Rechnungen
Getty Images/Z+/Ziga Plahutar
Wer wegen mangelnder Bonität keinen Energieanbieter findet, muss über die Grundversorgung mit Energie beliefert werden

Dass sich die Kosten an Bestandsverträgen orientieren, habe bislang keine nennenswerten Vorteile gebracht, denn vor nicht allzu langer Zeit waren die Tarife laufender Verträge meist wenig attraktiv. Mit Neuverträgen konnte man Geld sparen, ein Anbieterwechsel wurde sowohl von der Regulierungsbehörde als auch von Verbraucherschutzorganisationen generell empfohlen.

Hohes Sparpotenzial gegenüber Neuverträgen

Heutzutage sind Neuverträge nur zu extrem ungünstigen Konditionen zu bekommen, der Wechsel in einen Bestandstarif über die Grundversorgung kann daher ein nicht zu unterschätzendes Sparpotenzial bieten. Und aufgrund der Tatsache, dass der Gesetzgeber die Regelung sehr umfassend formuliert habe, können sich nun tatsächlich alle Verbraucherinnen und Verbraucher auf die Grundversorgung berufen, so Veigl. Unabhängig davon, über welches Einkommen sie verfügen oder ob sie in irgendeiner Weise von Energiearmut betroffen sind.

Das sind keine guten Nachrichten für Energieunternehmen, sie lehnen Ansuchen auf Grundversorgung nicht selten ab. Manche berufen sich dabei auf die EU-Richtlinie 2019/944. Darin heißt es: „Die Mitgliedsstaaten ergreifen geeignete Maßnahmen zum Schutz der Kunden und tragen insbesondere dafür Sorge, dass für schutzbedürftige Kunden ein angemessener Schutz besteht.“ In diesem Zusammenhang definiert jeder Mitgliedstaat den Begriff „schutzbedürftiger Kunde“. Für die Definition des Begriffs können die Höhe des Einkommens, der Anteil der Energieausgaben am verfügbaren Einkommen, die Energieeffizienz von Wohnungen, die kritische Abhängigkeit von elektrischen Geräten für gesundheitliche Zwecke, das Alter und weitere Kriterien herangezogen werden.

Screenshot E-Control-Tarifkalkulator (Detail)
Screenshot: E-Control
Wer gezwungen ist, einen neuen Gasliefervertrag abzuschließen, muss mit erheblichen Mehrkosten rechnen

Alle Bürgerinnen und Bürger können Antrag stellen

Der Staat könnte die Grundversorgung also ohne Weiteres etwa mit dem verfügbaren Einkommen verknüpfen. Das habe er aber nicht getan, sagt dazu der Obmann des Verbraucherschutzvereins (VSV), Peter Kolba. Es sei nun nicht die Aufgabe der Energieversorger, zu definieren, „wer in Österreich schutzwürdig ist und wer nicht“. Das sei Aufgabe des Gesetzgebers, sprich des Parlaments, und dieses habe die entsprechende Richtlinie in einer zulässigen Form umgesetzt, so Kolba.

Wenn der Wunsch nach der Grundversorgung abgelehnt wird, solle man den Anbieter erneut kontaktieren und auf die gesetzliche Grundversorgungspflicht hinweisen, rät E-Control-Expertin Veigl. Alternativ könne man auch die Schlichtungsstelle der E-Control konsultieren. Mitglieder des VSV können sich aber auch an den Verein wenden, der VSV hat eine entsprechende Sammelaktion gestartet.

Man werde zunächst intervenieren und versuchen, mit dem entsprechenden Anbieter eine außergerichtliche Einigung zu erzielen. Sollte dieser Versuch scheitern, werde man die Fälle einklagen. Zu diesem Zweck habe man bereits Kontakt zu Prozessfinanzierern aufgenommen, so Kolba. Die Mitgliedschaft beim VSV kostet 30 Euro pro Jahr.

ElWOG: Grundversorgung
Screenshot: ris.bka.gv.at

„Selbstorganisiert Übergewinne abschöpfen“

Wenn Energieunternehmen die Grundversorgung verweigern, dann handeln sie gesetzwidrig, argumentiert der VSV-Obmann. Die Verbraucherinnen und Verbraucher würden dadurch „einen Schaden erleiden, der täglich und mit jeder verbrauchten Kilowattstunde (kWh) größer wird“. Kolba verweist in diesem Zusammenhang auch auf Übergewinne, die manche Energieanbieter im Laufe der Krise lukriert haben. Es gehe nun nicht darum, den Unternehmen in ihrem Bestand zu schaden, sondern es gehe darum, „selbstorganisiert Übergewinne abzuschöpfen“, so Kolba.

Wir haben Energieunternehmen um Stellungnahme gebeten. Aus Sicht des Kärntner Landesversorgers KELAG ist das Gesetz in seiner derzeitigen Form schlicht unions- und verfassungswidrig. In der Stellungnahme gegenüber help.ORF.at heißt es: „Wenn jedem Konsumenten der Grundversorgungstarif offensteht, wäre dies eine für den Stromlieferanten vorgegebene Preisobergrenze, die er gegenüber allen Kunden einzuhalten hätte. Dies ist nach EU-Recht unzulässig, weil der Unionsrechtsgesetzgeber klar festgelegt hat, dass eine unterschiedslose Festsetzung von Strompreisen für sämtliche Haushaltskunden, wie sie der österreichische Gesetzgeber vorsieht, mit dem Unionsrecht nicht vereinbar ist.“ Die KELAG werde „mit den ihr zustehenden Rechtsmitteln die derzeitige gesetzliche Regelung auf Unionsrechts- und Verfassungskonformität überprüfen lassen“.

Regelung möglicherweise verfassungswidrig

Seitens der Interessenvertretung der österreichischen E-Wirtschaft heißt es: „Grundversorgung soll jenen zur Verfügung stehen, die es wirklich brauchen. Das war der Grundgedanke dieser Regelung und dazu stehen wir – denn die österreichische E-Wirtschaft ist sich ihrer Verantwortung in der aktuell schwierigen Situation bewusst. Im Sinne der sozialen Gerechtigkeit und im Interesse von wirtschaftlich schwachen Kunden sollte jedoch rasch eine klarere und treffsicherere Regelung gefunden werden, die den europäischen Vorgaben besser entspricht. Diese sehen vor, dass das Recht auf Grundversorgung über objektive Kriterien klar mit schutzbedürftigen Kundengruppen verknüpft wird.“

Auch unter Juristinnen und Juristen ist höchst umstritten, ob das österreichische Gesetz zur Grundversorgung mit Verfassungs- und Unionsrecht vereinbar ist. Christina Veigl von der E-Control hält aber fest, dass eine Änderung der derzeitigen Regelung nur von den Höchstgerichten verfügt werden könne. Solange das nicht der Fall sei, gelte die nationale Gesetzesbestimmung natürlich weiterhin, so Veigl.