Gynekologische Untersuchung
Getty Images/EyeEm/Maria Kraynova
Getty Images/EyeEm/Maria Kraynova

Defekte Verhütungsspiralen: VSV unterstützt Patientinnen

Bei Verhütungsspiralen der Firma Eurogine brachen bei bestimmten Chargen die Plastikarme im Körper ab. Grund war ein Materialfehler, die Betroffene müssen oft schmerzhafte Eingriffe über sich ergehen lassen. Der Verbraucherschutzverein (VSV) hat den Hersteller geklagt. Auch ein Verfahren gegen das Gesundheitsamt ist anhängig.

Sendungshinweis

„Help“, das Ö1-Konsumentenmagazin, jeden Samstag um 11.40 Uhr in Radio Ö1 und als Podcast.

Bis zum ersten Versuch, die abgebrochenen Plastikarme zu entfernen, habe sie vier Monate lang starke Unterleibsschmerzen gehabt, erzählt die Steirerin Angelika Aillinger. Erst im Rahmen einer gynäkologischen Untersuchung habe sich herausgestellt, dass ein Materialfehler der zuvor eingesetzten Verhütungsspirale zu den gesundheitlichen Problemen geführt habe. Mittels Kürettage habe man versucht, die gebrochenen Plastikarme zu entfernen. Erfolglos, weil Teile bereits in der Gebärmutter eingewachsen waren.

VSV: Bis zu 19.000 Betroffene

Die Plastikstücke befinden sich nach wie vor in ihrem Körper, was engmaschige gynäkologische Kontrollen notwendig mache, sagt Aillinger. Dies sei kein Problem, solange die Bruchstücke in der Gebärmutter verbleiben. Es bestehe aber das Risiko, dass sich Teile lösen und durch den Körper wandern könnten, befürchtet die Steirerin. Dies könne etwa die Eileiter beschädigen. Ein Restrisiko, das eine enorme psychische Belastung darstelle, so Aillinger.

Der unabhängige Verbraucherschutzverein (VSV) führt eine Reihe von Musterverfahren gegen den spanischen Hersteller Eurogine S.L.. In Österreich könnten bis zu 19.000 Frauen betroffen sein, sagt die designierte Obfrau des VSV, Daniela Holzinger-Vogtenhuber. Dies gehe aus der Studie eines Innsbrucker Gynäkologen hervor, der ausschließlich Verhütungsspiralen der Firma Eurogine eingesetzt hat.

Verhütungsspirale (Symbolfoto)
AFP/YURI CORTEZ
Die so genannte Spirale ist nach wie vor ein gängiges Empfängnisverhütungsmittel für Frauen (Symbolfoto)

Hersteller kann hohe Opferzahl nicht nachvollziehen

Bei Eurogine kann man diese Zahlen nicht nachvollziehen. Es handle sich um eine zufällige Häufung in der Praxis eines einzelnen Gynäkologen, der nur eine zweistellige Zahl an Patienten betreue, so der Anwalt des Unternehmens gegenüber help.ORF.at. Diese Zahlen habe der VSV hochgerechnet, ohne zu berücksichtigen, dass etliche Spiralen nicht betroffen oder zurückgerufen wurden. Bei dem Unternehmen selbst seien 1605 Meldungen aus Österreich eingegangen, die man den Behörden gemeldet habe, so der Eurogine-Anwalt.

Der VSV vertritt Geschädigte vor Gericht im Rahmen einer Produkthaftungsklage gegen den Hersteller. Betroffene Frauen können sich an einer entsprechenden Sammelaktion beteiligen, bis dato hätten sich bereits rund 1.500 Frauen eingetragen, sagt Holzinger-Vogtenhuber. Interessierte können sich auf der Webseite des VSV registrieren, deren Ansprüche werden dann vom Verein geprüft. Voraussetzung ist eine Mitgliedschaft beim VSV, diese kostet 35 Euro im Jahr.

VSF fordert „angemessenen Schadensersatz“

In einem erstinstanzlichen Urteil hat das Bezirksgericht Fürstenfeld im Februar 2022 Anspruch auf Schadenersatz festgestellt, für den Fall, dass man aufgrund der schadhaften Spirale Schmerzen erlitten hat. Eurogine bestätigt, dass bereits Schmerzengeld zugesprochen worden ist, es habe sich aber in der Regel um geringe Summen gehandelt. Zu gering, sagt dazu Daniela Holzinger-Vogtenhuber, der VSV geht in Berufung.

Daniela Holzinger-Vogtenhuber
APA/GEORG HOCHMUTH
Daniela Holzinger-Vogtenhuber ist designierte Obfrau des VSV und Nachfolgerin von Peter Kolba

Gerichte in Deutschland hätten im Gegensatz zu den österreichischen Gerichten teils das zehnfache an Schmerzengeld zugesprochen, sagt die designierte VSV-Obfrau. Denn bei der Berechnung des Schadenersatzes seien in Deutschland Tagessätze herangezogen worden, in Österreich sei nach Stunden und Minuten berechnet worden. Dass österreichische Gerichtssachverständige etwa für eine Operation unter Vollnarkose zwanzig Minuten mittlere Schmerzen und eine einwöchige Einschränkung des Sexuallebens errechnen, sei ein Affront und mit keinem Argument zu rechtfertigen, so Holzinger-Vogtenhuber.

VSV sieht Versäumnisse bei Gesundheitsbehörde (BASG)

Neben der Produkthaftungsklage gegen Eurogine führt der VSV auch eine Amtshaftungsklage gegen die Republik. Konkret werfen die Verbraucherschützer dem Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) Versäumnisse vor. Obwohl Eurogine die Produktmängel bereits im März 2018 bekannt gemacht hat, habe das BASG erst im Herbst 2020, gut zweieinhalb Jahre nach der Produktwarnung durch Eurogine, einen Warnhinweis auf der Webseite des BASG publiziert. Man habe sich darauf verlassen, dass der Hersteller die Betroffenen informiert, sagt Holzinger-Vogtenhuber. Dies sei dem Unternehmen aber aufgrund fehlender Patientinnendaten gar nicht möglich gewesen.

BASG: Haben schon 2018 den Hersteller kontaktiert

Man habe bereits im März 2018 Kontakt mit dem Hersteller aufgenommen und diesen aufgefordert, die entsprechenden Vertriebspartner und Ärzte zu informieren, heißt es dazu in einer schriftlichen Stellungnahme des BASG gegenüber help.ORF.at. In einem Schreiben vom April 2019 seien außerdem sowohl der österreichische Exklusivhändler als auch die entsprechenden Fachärzte über die Situation in Kenntnis gesetzt worden. Es sei außerdem ein Sicherheitshinweis von Eurogine durch das BASG an die Österreichische Ärztekammer ergangen, „mit dem Ersuchen um Weiterleitung an die zuständige Bundesfachgruppe für Frauenheilkunde und Geburtshilfe.“

Warnung des BASG zu den Eurogine-Verhütungsspiralen vom September 2020
Screenshot: BASG
Zweieinhalb Jahre nach Bekanntwerden der Mängel veröffentlichte das BASG eine Warnung auf seiner Webseite

BASG-Warnhinweis im September 2020

Im September 2020 habe die Behörde schließlich eine Sicherheitswarnung auf ihrer Webseite publiziert, „um der Problematik größtmögliche Öffentlichkeitswirksamkeit zu geben.“ Weiter heißt es in dem Schreiben: „Das BASG weist darauf hin, dass bereits vor Veröffentlichung einer Sicherheitsinformation auf der Website konkrete Maßnahmen im Zusammenhang mit den gegenständlichen Medizinprodukten veranlasst wurden. Seitens des BASG werden öffentliche Warnungen abgegeben, wenn das BASG erkannt hat, dass der Hersteller inaktiv ist oder wenn nicht sichergestellt ist, dass der Hersteller alle vom Risiko Betroffenen erreichen kann.“

VSV sucht Unterstützung für Crowdfunding-Kampagne

Daniela Holzinger-Vogtenhuber kritisiert die aus Sicht des VSV höchst ineffektive Öffentlichkeitsarbeit des BASG. Es wäre die Aufgabe der Behörde gewesen, „die betroffenen Frauen im Land zu informieren.“ Beispielsweise über eine Presseaussendung, wie das auch die Lebensmittelbehörde AGES in Fall von Produktrückrufen im Lebensmittelbereich regelmäßig praktiziere. Man könne nicht davon ausgehen, dass betroffene Frauen regelmäßig die Webseite des BASG nach entsprechenden Warnmeldungen durchsuche, so Holzinger-Vogtenhuber. Die entsprechende Amtshaftungsklage des VSV wurde in erster Instanz abgewiesen, der Verein geht auch in diesem Fall in Berufung.

Man werde jedenfalls weiter „für einen gerechten Schadenersatz kämpfen“, sagt Holzinger-Vogtenhuber. Leider sei es noch nicht gelungen, einen Prozessfinanzierer für die Verfahren zu gewinnen. Das habe vor allem „mit den skandalös niedrigen Schmerzengeldern“ zu tun, die bisher von den Gerichten zugesprochen wurden. Um auch Geschädigte vertreten zu können, die über keine Rechtsschutzversicherung verfügen, wirbt der VSV mit einer Crowdfunding-Aktion um Spenden. Auf der Webseite des VSV kann die Kampagne unterstützt werden.