This illustration picture taken on April 20, 2018 in Paris shows apps for Google, Amazon, Facebook, Apple (GAFA) and the reflexion of a binary code displayed on a tablet screen. (Photo by Lionel BONAVENTURE / AFP)
AFP/LIONEL BONAVENTURE
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EU-Pläne zur Chatüberwachung sorgen weiter für Kritik

Die EU-Kommission will gegen Kindesmissbrauch im Netz vorgehen. Dazu sollen Kommunikationsplattformen verstärkt überwacht werden. Verschlüsselte Kommunikation, wie sie beispielsweise von Messengerdiensten eingesetzt wird, soll umgangen werden. Datenschützer sind besorgt, aber auch Politiker und Kinderschutzorganisationen äußern Bedenken.

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Die EU-Kommission hat Mitte Mai den Entwurf einer Verordnung vorgestellt, mit der Kindesmissbrauch im Internet bekämpft werden soll. Der Vorschlag beinhaltet unter anderem eine massive Überwachung von Messengerdiensten und Chatforen. Die Pläne basieren auf einer Initiative der schwedischen EU-Innenkommissarin Ylva Johansson. Unterstützt wird Johansson dabei auch von Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen.

Chatkontrolle soll Kinder vor Missbrauch schützen

Diskutiert wird über die Chatkontrolle im Internet schon seit einiger Zeit. Datenschützerinnen und Datenschützern gehen die angekündigten Maßnahmen zu weit. Es sei, „als ob allen Bürgerinnen und Bürgern permanent über die Schulter geschaut wird, wenn sie etwas im Internet schreiben oder Dateien hochladen“, sagt Elina Eickstädt, sie ist unter anderem im Chaos-Computer-Club (CCC) aktiv und koordiniert derzeit eine Kampagne gegen die Chatkontrolle auf EU-Ebene.

Expertin: „Komplette Überwachung der Zivilgesellschaft“

Der Kampf gegen Kindesmissbrauch sei natürlich klar zu unterstützen, sagt Eickstädt. Der angekündigte Gesetzesentwurf würde dieses „sehr komplexe gesellschaftliche Problem“ aber keinesfalls lösen, dafür aber zu einer "massiven Überwachung der gesamten Zivilgesellschaft führen.“ Wenn das Gesetz in der angedachten Form umgesetzt wird, würde eine „komplette Überwachungsstruktur aufgebaut, die jeden betrifft.“ Da sämtliche Kommunikationsdaten gescannt werden sollen, würden de facto alle Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union unter Generalverdacht gestellt, so Eickstädt.

Ein Finger zeigt auf ein Smartphone mit den Icons von Facebook, Twitter, Instagram, WhatsApp, Skype, Messenger, Pinterest, Snapchat, tumblr, YouTube, Flickr und Facetime.
APA/HELMUT FOHRINGER
Anbieter von Internetdiensten sollen technische Möglichkeiten finden, um Textdateien und Bildmaterial zu durchsuchen

Kritik von Kinderorganisationen und Politikern

Eine Meinung, mit der die Datenschutzexpertin nicht allein dasteht. Auch Kinderschutzorganisationen sehen den Entwurf kritisch. „Kinderschutz dürfe nicht missbraucht werden“, sagt etwa der Geschäftsführer des deutschen Kindervereins Rainer Rettinger in einem Interview mit dem Onlineportal Netzpolitik.org. Statt einer Chatkontrolle brauche es unter anderem eine bessere Ausstattung der Jugendämter und eine verpflichtende Ausbildung in Sachen Kinderschutz. In einem Statement des UNO-Menschenrechtskommissars Volker Türk heiß es unter anderem, dass „eine wahllose Überwachung die freie Meinungsäußerung und die Vereinigungsfreiheit erheblich einschränken“ würde.

Provider und Chatanbieter sollen Verdachtsfälle melden

Die im Verordnungsentwurf angedachten Maßnahmen sind weitreichend. Anbieter von Messengerdiensten wie WhatsApp oder Signal, aber auch Internetprovider, E-Mail-Anbieter und Onlineforenbetreiber sollen verpflichtet werden, sämtliche Inhalte, die über ihre Dienste versendet werden, zu durchsuchen. Verdächtiges Material soll dann an das neu zu gründende EU-Centre on Child Sexual Abuse (EUCSA) geschickt werden. Eine Behörde, die eng mit Europol kooperieren soll und die erhaltenen Daten schließlich an die nationalen Strafverfolgungsbehörden weiterleitet.

EU-Kommissarin verteidigt den Entwurf

Im Gesetzesvorschlag der EU-Kommission wird betont, dass die Anbieter die angedachten Maßnahmen in einer Weise umsetzen sollen, die die Privatsphäre der Nutzerinnen und Nutzer am wenigsten beeinträchtigt, und dass außerdem eine anderweitige Verwendung der Daten grundsätzlich verboten ist. Allerdings würde die Dringlichkeit von Aktionen gegen die Verbreitung von kinderpornografischem Material die Bedenken hinsichtlich der Privatsphäre überwiegen. Diesen Standpunkt betonte Innenkommissarin Johansson auch im Rahmen einer Pressekonferenz.

EU commissioner for Home Affairs and Swedish politician Ylva Johansson
AFP / KENZO TRIBOUILLARD
EU-Innenkommissarin Ylva Johansson will die Kommunikation im Internet überwachen, um Kinder vor Missbrauch zu schützen

Bild- und Textdateien im Fokus

Welche technischen Hilfsmittel die angesprochenen Provider und Netzdienste im Detail einsetzen sollen, ist im Entwurf der EU-Kommission nicht näher definiert. Es sollen aber sowohl Bild- auch als Textdateien (Chatnachrichten) einer Überprüfung unterzogen werden. Einerseits möchte man noch unbekanntes kinderpornografisches Material sichern, auf der anderen Seite sollen Anbahnungsversuche an Minderjährige (Grooming) durch das Scannen entsprechender Textnachrichten unterbunden werden.

Künstliche Intelligenz als Fehlerquelle?

Die wahrscheinlichste Variante wäre, dass künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz kommen wird. In so einem Fall könnten aber auch unbescholtene Privatpersonen Probleme mit den Strafverfolgungsbehörden bekommen, sagt Elina Eickstädt. Denn die Technik ist keineswegs frei von Fehlern. Der Fehlerquote liege derzeit zwischen zwei und fünf Prozent, sagt Eickstädt. Das sei auf den ersten Blick wenig, wenn man sich aber die Menge an Kommunikationsdaten, die in der Union über das Netz gesendet werden, vor Augen führe, sei das im Endeffekt eine beträchtliche Anzahl an Fehlalarmen.

Ende-zu-Ende-Verschlüsselung soll umgangen werden

Neben dem Durchsuchen von Benutzerinhalten soll auch nach technische Möglichkeiten gesucht werden, um die so genannte Ende-zu-Ende Verschlüsselung (E2EE), die beispielsweise von Diensten wie WhatsApp, Zoom oder Signal eingesetzt wird, zumindest zu umgehen. In Zeiten steigender Internetkriminalität werden seitens der Politik immer wieder Stimmen laut, die diese anonyme Kommunikationsmöglichkeit im Netz einschränken wollen.

Expertin: „EuGH würde Verordnung einkassieren“

Entsprechende Initiativen werden in regelmäßigen Abständen in Angriff genommen, beispielsweise im Hinblick auf die Vorratsdatenspeicherung. Nicht selten werden solche Überwachungsmaßnahmen allerdings von den Gerichten wieder gestoppt. Erst vor wenigen Wochen kippte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg die deutsche Regelung zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung. Dass die Kommissionspläne hinsichtlich der Chatkontrolle mit EU-Recht vereinbar sind, glaubt Elina Eickstädt nicht. Sollte das Gesetz in der vorliegenden Form verabschiedet werden, werde es „in spätestens zwei Jahren vom EuGH einkassiert“, ist die Datenschutzexpertin überzeugt. Doch bis dahin bleibe es in Kraft und hätte „katastrophale Auswirkungen auf jegliche private Kommunikation im Internet“, so Eickstädt.