Screenshot zeigt den Instagram-Account des österreichischen Unternehmers Walter Temmer
Screenshot instagram.com/walter_temmer
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Temmer-Coachings: Hunderte Beschwerden, erste Klagen

„Außer Spesen nichts gewesen“, lautet das enttäuschte Fazit vieler Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Onlinekurse von Walter Temmer. Vor einem Dreivierteljahr wandten sich erste Betroffene an den Konsumentenschutz, inzwischen liegen Hunderte Beschwerden vor. Sie alle haben mehrere tausend Euro für die Onlinevideos „Masterclass – Geld verdienen mit Domains“ bezahlt, der versprochene Erfolg blieb aber aus. Konsumentenschützer haben nun erste Klagen eingebracht und fordern das Geld retour.

Sendungshinweis

„Help“, das Ö1-Konsumentenmagazin, jeden Samstag um 11.40 Uhr in Radio Ö1 und als Podcast.

„Wir haben sehr viele Beschwerden von Konsumenten erhalten. Aktuell haben wir 330 Anfragen von Konsumenten zu dem Onlinekurs von Walter Temmer“, so Reinhold Schranz vom Europäischen Verbraucherzentrum (EVZ) im Verein für Konsumenteninformation (VKI).

Weitere 100 Betroffene haben sich bei der Arbeiterkammer Steiermark (AK) gemeldet, erklärt Bettina Schrittwieser, Leiterin der Abteilung Konsumentenschutz.

Screenshot der Walter-Temmer-Website
Screenshot waltertemmer.com

Immer gleiche Vorgehensweise

Die Erzählungen der Konsumentinnen und Konsumenten gleichen sich dabei, so Jurist Schranz. Wer sich für die Masterclass interessierte, wurde von einem Mitarbeiter oder einer Mitarbeiterin von Walter Temmer angerufen. Nach lockeren Plaudereien per Videotelefonie wurden schließlich die Kosten der Masterclass genannt: knapp 3.500 Euro bei Einmalzahlung, bei Ratenzahlung fast 3.900 Euro.

Konsumenten erzählen von großem Druck

Zeit zum Überlegen blieb den Interessenten laut ihren Erzählungen nicht. Wer angab, noch eine Nacht darüber schlafen zu wollen, wurde demnach von den rhetorisch geschulten Coaches unter Druck gesetzt, indem sie darauf hinwiesen, dass man Entscheidungsfreude zeigen müsse und das eine einmalige Gelegenheit sei, die nur jetzt gelte.

Auch über die möglichen Einnahmen wurden die Konsumenten in die Irre geführt. „Die Konsumenten berichten uns, dass die Coaches und Verkaufsagenten von Walter Temmer gesagt haben: ‚Du musst ein absoluter Dodel sein, wenn du dir nicht 4.000 Euro im Monat als passives Einkommen dazuverdienst. Ich habe das ja auch geschafft‘“, so Schranz.

Verkaufsagenten füllten oft die Formulare aus

Viele Konsumenten gaben dem Druck schließlich nach und stimmten den Kursgebühren zu – in der Hoffnung, dass diese sich schnell amortisieren würden. Daraufhin wurden die Daten des Konsumenten in der Regel von dem Coach in ein Onlinebestellformular eingetragen. Was den meisten Temmer-Kunden dabei nicht klar war: Sie schlossen den Vertrag formal mit der deutschen Plattform Copecart bzw. Digistore24 – zwei deutschen Dienstleistern für solche Onlineverträge – ab.

In einigen Fällen kreuzte der Coach beim Ausfüllen des Bestellformulars zudem ein Kästchen an, laut dem auf das Widerrufsrecht verzichtet wird. „Das ist absolut illegal, ein Verkaufsagent darf das nicht“, so Schranz.

Screenshot zeigt den Instagram-Account des österreichischen Unternehmers Walter Temmer
Screenshot instagram.com/walter_temmer
Grellbunte Luxuskarossen, Reisen nach Dubai, Restaurant- und Jachtausflüge – so setzt sich Walter Temmer im Internet in Szene

Erlöschen des Widerrufsrechts ungültig

Beim Vertragsabschluss im Internet hat man ein Widerrufsrecht (Rücktrittsrecht) von 14 Tagen. „Das ist zwingendes Recht, das heißt, der Konsument kann in diesem Fall nicht zu seinem Nachteil darauf verzichten – auch nicht, wenn er ein entsprechendes Kästchen anhakt“, so Schranz.

Erlöschen kann das Widerrufsrecht nur, wenn die digitale Dienstleistung (z. B. bei einem Softwaredownload) sofort erbracht wird und der Kunde aktiv zustimmt. Wenn das Coaching jedoch auch Zugang zu einer Facebook-Gruppe und Live- und Gruppencoachings enthält und über mehrere Monate läuft, dann kann das Widerrufsrecht nicht schon bei Vertragsabschluss erlöschen.

Konsumentenschützer: Verträge ungültig

Die per Videocall auf solche Art abgeschlossenen Verträge seien zudem unwirksam, so Schranz vom EVZ. Der Käufer müsste das Angebot nach dem Videotelefonat noch einmal per E-Mail zugeschickt bekommen und dann auch per E-Mail annehmen. Der Gesetzgeber hat diese Bestätigungspflicht eingeführt, um Konsumenten vor Überrumpelung zu schützen.

In den erhaltenen Beschwerdefällen wurde die Doppelbestätigungspflicht nicht eingehalten. Die Verträge sind laut Ansicht der Konsumentenschützer daher ungültig, Kunden müssen nicht bezahlen.

Preis viel zu hoch

„Wir schließen uns den Ausführungen des EVZ an. Auch uns wurde in vielen Fällen geschildert, dass es kein Rücktrittsrecht gab, obwohl die Betroffenen den Vertrag über das Internet abgeschlossen haben und daher ein Rücktrittsrecht haben müssten“, so AK-Juristin Schrittwieser. Wir sind daher der Ansicht, dass „die Verträge nicht rechtswirksam zustande gekommen sind“.

Sie wirft Walter Temmer zudem „laesio enormis“ vor. Im juristischen Fachjargon bedeutet das: Die Kosten sind mehr als doppelt so hoch, wie die Leistung wert ist.

Screenshot zeigt den Instagram-Account des österreichischen Unternehmers Walter Temmer
Screenshot instagram.com/walter_temmer

Zu den Kursgebühren kamen weitere Kosten

Und mit den Kurskosten allein war es nicht getan: Nach Vertragsabschluss beim Onlinecoaching erfuhren die Masterclass-Teilnehmer, dass sie noch mehr Geld investieren müssen. Ihnen wurde erklärt, dass sie sich bei dem Partnerunternehmen Provider.at ein Profil anlegen müssen, und dort ein Guthaben von 500 Euro einzahlen, um damit Domains von der „geheimen Liste“ von Temmer zu kaufen.

Bei den angebotenen Domains fanden sich vor allem zusammengesetzte Geodomains wie etwa Zahnarzt-Zittau.de, Pizzeria-Mödling.at oder Immo-Kufstein.at. Diese kosteten zwischen 30 und 90 Euro pro Domain sowie zusätzlich eine jährliche Gebühr.

Domain-Kauf und Werbebriefe über Provider.at

Um die Domains gewinnbringend zu verkaufen, sollten die Teilnehmer dann potenzielle Kunden – also etwa Pizzerien in Mödling oder Immobilienmakler in Kufstein – anschreiben. Doch diese Werbebriefe sollten die Konsumenten nicht selbst versenden, sondern bei Provider.at in Auftrag geben. Provider.at berechnete dafür pro Brief 1,20 Euro.

Hunderte Briefe verschickt, kaum Domains verkauft

Manche Konsumenten verschickten monatelang Hunderte Briefe, mit entsprechenden Kosten – und verkauften dennoch nur wenige bis gar keine Domains.

„Konsumenten haben auch berichtet, sie hätten nachtelefoniert und die angeschriebenen Unternehmen haben gemeint, sie hätten nie einen Werbebrief erhalten“, so Schranz. Ein angeschriebenes deutsches Unternehmen drohte einem Konsumenten sogar mit einer Abmahnung durch einen Rechtsanwalt und teilte dem Konsumenten mit, dass derartige Werbebriefe nach deutschem Recht nicht erlaubt seien.

Wurde doch eine Domain verkauft, wurde vom erzielten Verkaufspreis wiederum eine Provision abgezogen.

Help.ORF.at hat bei Provider.at nachgefragt, was sie zu den Vorwürfen sagen. Eine Antwort auf unsere Anfrage haben wir nicht bekommen.

Temmer sieht alles rechtlich einwandfrei

Auch Walter Temmer persönlich wurde von help.ORF.at zu einer Stellungnahme aufgefordert. Er antwortete, er sei davon überzeugt, dass alles rechtlich einwandfrei abgewickelt wurde. Es gebe nachweislich Teilnehmer, die Einnahmen in Höhe von fünfstelligen Euro-Beträgen erzielt hätten. Andere wiederum hätten keine Domains verkauft, weil sie zu wenig Arbeit hineingesteckt hätten. Wer ein Fitnesscenterabo habe, aber nicht hingehe, baue schließlich auch keine Muskeln auf, so Temmer. Im Übrigen kündigte Temmer rechtliche Schritte gegen uns an.

Den Vorwurf, dass die Konsumenten zu faul gewesen seien, kann Schranz nicht nachvollziehen. „Das stimmt nicht. Die Konsumenten haben sich am Abend hingesetzt, haben sich die Videos genau angeschaut, haben sich exakt an Temmers Vorgaben gehalten, haben aus der geheimen Liste Domains gekauft, haben an den Gruppen- und Einzelcoachings teilgenommen, und trotzdem hat es nicht funktioniert. Hier mangelt es sicher nicht an dem Willen und Einsatz der Konsumenten.“

Viele Fälle noch offen, erste Klagen eingebracht

Nach unserem ersten Bericht im vergangenen Herbst bekamen einige Teilnehmer die Gebühren zurück. Viele weitere Betroffene warten allerdings immer noch auf ihr Geld.

„Einen Teil der Fälle konnten wir außergerichtlich lösen, indem über die Firmen Copecart sowie Digistore24 die Kurskosten zurückgezahlt wurden. Ein anderer Teil der Fälle ist nach wie vor offen“, so Schranz. „Wir lassen nicht locker, intervenieren in diesen Fällen erneut und setzen weitere rechtliche Schritte.“

Rasch rechtliche Unterstützung holen

Auch bei der AK Steiermark wurde versucht, die Fälle durch außergerichtliche Interventionen zu lösen. „Da diese aber zum Teil erfolglos blieben, haben wir jetzt auch bereits erste Klagen eingebracht, und weitere werden folgen“, so Schrittwieser.

Betroffene Konsumenten können sich auch weiterhin an das Europäische Verbraucherzentrum im Verein für Konsumenteninformation und die Arbeiterkammer wenden und erhalten dort kostenlos Unterstützung.