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Vor wenigen Wochen hat die Umweltorganisation Greenpeace einmal mehr heftige Kritik an den Haltungsbedingungen in der österreichischen Schweinezucht geübt. Greenpeace verweist in diesem Zusammenhang auf Haltungskennzeichnungen in deutschen Supermärkten. Die Zustände in der heimischen Schweinemast seien so schlecht, dass österreichisches Schweinefleisch in deutschen Supermärkten gar nicht verkauft werden würde, weil es nicht einmal deutschen Mindeststandards entspricht, sagt Greenpeace.
Zankapfel Vollspaltenböden: Umstritten aber erlaubt
Ein zentraler Kritikpunkt von Tierschützern ist die Haltung auf den umstrittenen Vollspaltenböden. Das sind Beton- oder Metallböden mit etwa elf Millimeter breiten Spalten. Der Kot der Schweine fällt durch diese Spalten direkt in das Kanalsystem. Das erspart einerseits Reinigungsarbeiten und Kosten, auf der anderen Seite leben die Tiere durchgehend über ihren eigenen Fäkalien.
Tierschutzexperten zufolge komme es dabei zu Augenentzündungen, zu Lungenkrankheiten und zu Verletzungen. Laut einer Untersuchung der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität München litten viele Tiere, die auf Vollspaltenböden gelebt haben, an schweren Gelenksentzündungen.

„Nachfrage nach günstigem Schweinefleisch hoch“
Vollspaltenböden in der Schweinemast seien ein System, das sich international entwickelt habe, sagt dazu Michael Klaffenböck, er ist Geschäftsführer im Verband Österreichischer Schweinezüchter (VSÖ). Konsumentinnen und Konsumenten verlangen zunehmend günstiges Schweinefleisch, sagt Klaffenböck. Daher hätten sich Systeme entwickelt, mit denen die Schweinezucht ohne großen Arbeitsaufwand und kosteneffizient möglich sei.
Die „Pauschalverurteilung“, dass Schweine auf Vollspaltenböden kränker würden als Tiere, die in „eingestreuten Systemen“, also auf Stroh leben, weist der VÖS-Geschäftsführer zurück. Beide Systeme hätten Vor- und Nachteile, so Klaffenböck. Eingestreute Systeme seien für die Tiere natürlich komfortabler und böten ihnen größere Beschäftigungsmöglichkeiten. Hinsichtlich der Gesundheit und der Hygiene der Tiere seien wiederum perforierte Systeme (Vollspaltenböden) im Vorteil.
Greenpeace: Bioschweinchen nur in der Werbung
Der Fleischkonsum in Österreich ist generell hoch, der Pro-Kopf-Konsum liegt bei etwa 62 Kilogramm pro Jahr. Über 50 Prozent fällt dabei auf Schweinefleisch. 36 Kilogramm Schweinefleisch essen Österreicherinnen und Österreicher im Schnitt jedes Jahr, das sind auf die Gesamtbevölkerung gerechnet über 323.542 Tonnen. Um diesen Bedarf zu decken, werden in Österreich pro Jahr über fünf Millionen Schweine geschlachtet.

In Punkto Schweinefleisch ist Österreich autark. Der Bio-Anteil liegt allerdings bei lediglich drei Prozent. Dem gegenüber stehen 25 Prozent Landwirtinnen und Landwirte, die biologische Schweinezucht betreiben. Der Ertrag ist also vergleichsweise gering. Biologisches Schweinefleisch ist etwa doppelt bis dreimal teurer als konventionelle Produkte. Auch in der biologischen Schweinezucht ist die Haltung auf Vollspaltenböden übrigens nicht gänzlich untersagt. 50 Prozent des Stallgebäudes dürfen auch im Biobereich mit Vollspaltböden ausgestattet sein.
Genussregion Österreich ein Mythos?
Biologische Schweinezucht sei hinsichtlich Tierwohl und Umweltauswirkungen „das Beste, was wir derzeit haben“, sagt der Landwirtschaftssprecher von Greenpeace Österreich, Sebastian Theissing-Matei. Es sei korrekt, dass Bioprodukte entsprechend mehr kosten, das sei auch ein Grund dafür, dass Umwelt- und Tierschutzorganisationen dafür plädieren, bei der konventionellen Landwirtschaft anzusetzen und Verbesserungen zu erwirken. Es sei nicht realistisch, die ganze Branche auf biologische Haltungsformen umzustellen, so Theissing-Matei.
Letztlich sei aber klar, dass die Standards, die derzeit in der österreichischen Schweinezucht zur Anwendung kommen, auch im europäischen Vergleich extrem gering sind, sagt Theissing-Matei. Das stehe im krassen Widerspruch zu dem „beliebten Nahrungsmittelmythos“, wonach alle heimisch produzierten Lebensmittel automatisch hochwertig und nachhaltig seien. Die Vollspaltenböden seien hier eines von vielen Problemen, sagt Theissing-Matei. Man könne zwar billig produzieren, eine artgerechte Haltung der Tiere sei auf Spaltenböden aber schlicht nicht möglich.

Schwänze kürzen: Österreich bricht EU-Recht
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die betäubungslose Kastration der Ferkel in den ersten Lebenstagen und das Kupieren der Schwänze. Beim Kupieren werden den Jungtieren die Schwänze gekürzt. Ebenfalls ohne Betäubung, es werden aber Schmerzmittel verabreicht. Das verhindert, dass die Tiere, wenn sie gestresst oder gelangweilt sind, in die Schwänze ihrer Artgenossen beißen können. Kritiker machen vor allem die Haltungsform auf Vollspaltenböden für dieses Verhalten verantwortlich.
Die Haltungsbedingungen können zwar eine Rolle spielen, sagt VÖS-Geschäftsführer Klaffenböck, es gebe aber viele Gründe, warum sich Schweine gegenseitig in den Schwanz beißen. Das könne genetisch bedingt sein, an der Fütterung liegen oder an den klimatischen Bedingungen im Stall. Er kenne Betriebe, die sich hinsichtlich der Haltung vorbildlich verhalten und den Schweinen frisches Stroh und ausreichend Platz zur Verfügung stellen. Ein einfacher Wetterumschwung könne genügen, „und es kommt zu einem Blutbad“, sagt Klaffenböck.
Landwirtschaftsvertreter: EU-Regelung realitätsfern
Nichts-desto-trotz ist das vorsorgliche und routinemäßige Kupieren der Schwänze, wie es in Österreich Praxis ist, in der Europäischen Union durch eine Richtlinie untersagt. Österreich verstößt hier also gegen EU-Recht. Diese Richtlinie entspreche nicht der landwirtschaftlichen Praxis, sagt Klaffenböck. Deshalb sei die Richtlinie auch nur in Schweden und Finnland vollständig umgesetzt. Das Gesundheitsministerium habe nun im Rahmen der Tierhaltungsverordnung einen Aktionsplan verankert, wonach alle Betriebe verpflichtet werden, festzustellen, ob es im Betrieb ein Problem mit „Schwanz beißen“ gibt, sagt Klaffenböck. Wenn das der Fall ist, müsse der Landwirt analysieren, wo das Problem liegt, und entsprechende Maßnahmen ergreifen.

Greenpeace: Österreich muss sich an EU-Recht halten
Greenpeace-Experte Theissing-Matei bezeichnet diese neue Regelung als „wirklich absurd“. Wenn das Kupieren in Ausnahmefällen zugelassen bleibe, werde das dazu führen, dass die Ausnahme auch weiterhin die Regel bleibt. Es sei absehbar, dass die Landwirtinnen und Landwirte diese Ausnahme für rund 95 Prozent des Bestandes in Anspruch nehmen werden, meint Theissing-Matei: "Eine Ausnahme, die für 95 Prozent der Schweine gilt, ist einfach keine Ausnahme.“
Unterm Strich müssen sich die Haltungsbedingungen in Österreich grundsätzlich verbessern, so der Greenpeace-Landwirtschaftsexperte. Auch eine bessere Einteilung der entsprechenden Produkte in verschiedene Haltungsklassen sei dringend erforderlich, damit Konsumentinnen und Konsumenten bewusst zu den besseren Alternativen greifen können, so Theissing-Matei.
Greenpeace fordert Haltungskennzeichnung in Österreich
Er habe Verständnis für den Wunsch nach einer Haltungskennzeichnung, sagt VÖS-Geschäftsführer Klaffenböck. Diese dürfe aber nicht die ökonomische Sicherheit heimischer Viehzüchterinnen und Viehzüchter gefährden, indem teurere österreichische Produkte im Großhandel neben deutlich billigerer Importware zu liegen kommen und „wahrscheinlich nicht mehr verkauft werden“ können. Wenn es aber ein Modell gebe, „das am Markt funktioniert und auf bestehenden Systemen aufsetzt“, dann könne man „durchaus über Haltungskennzeichnungen diskutieren“, sagt Klaffenböck.
Michael Klaffenböck verweist in diesem Zusammenhang auf das Zusatzmodul „Mehr Tierwohl“ der AMA. Dieses verspricht doppelt so viel Platz in den Ställen, es müssen außerdem Liegeplätze mit Stroh vorhanden sein. Bis 2030 soll es in Österreich insgesamt eine Million Mastschweine geben, die entweder aus biologischer Haltung stammen oder mit dem „Mehr Tierwohl-Modul“ ausgezeichnet sind, so zumindest die Pläne der AMA. Das „Mehr Tierwohl-Modul“ ist allerdings nicht verpflichtend vorgeschrieben, die Teilnahme an dem Programm erfolgt auf freiwilliger Basis.