Wohnungsschlüssel, Mietvertrag, Geld
APA/BARBARA GINDL
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Mietkauf: Wohnung plötzlich 100.000 Euro teurer

Wer eine Wohnung kaufen möchte, aber noch nicht über die finanziellen Mittel verfügt, kann sich für einen Mietkauf entscheiden. Im Mietvertrag wird dann das Recht eingeräumt, die Wohnung nach einer bestimmten Frist zu erwerben. Eine Grazerin wählte vor zehn Jahren ein solches Finanzierungmodell. Doch statt 330.000 Euro sollte ihre Genossenschaftswohnung nun plötzlich um 100.000 Euro mehr kosten. Zu Unrecht, wie die Arbeiterkammer (AK) Steiermark meint.

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Im Juni 2012 bezog eine Grazerin mit ihren zwei Kindern eine neugebaute Genossenschaftswohnung nahe dem Messegelände der Landeshauptstadt. Sie konnte sich entscheiden, ob sie die Immobilie gleich kaufen wolle oder über Mietkauf erst in zehn oder 15 Jahren.

Mietkauf um 330.000 Euro

Ihr selbst wäre ein Sofortkauf lieber gewesen, doch Mitarbeiter der Wohnbauvereinigung „Ennstal Neue Heimat“ (ENW) – hätten ihr zum Mietkauf geraten, so die Frau. So würde sie sich die Umsatzsteuer und damit 20 Prozent des Kaufpreises sparen. Außerdem würde sie auch Geld bei der Finanzierung sparen, da die Darlehen vom Land gestützt würden und damit einer deutlich günstigeren Verzinsung unterlägen.

Für den Sofortkauf der Wohnung hätte die Grazerin damals 400.000 Euro bezahlt, für einen Mietkauf steht im Vertrag: Herstellungskosten plus zwei Prozent Aufschlag. Das wären rund 330.000 Euro, weshalb sie sich dafür entschied.

Aktuelles Kaufangebot um 100.000 Euro teurer

Zehn Jahre später – das war heuer im Frühjahr – schickte ihr die Wohnbaugenossenschaft das Kaufangebot zu. Dieses war nun aber rund 100.000 Euro teurer als vertraglich vereinbart.

Die Grazerin traute ihren Augen nicht: „Das war ein Schock für mich. Mein erster Gedanke war, woher soll ich dieses Geld nehmen?“ Auch viele ihrer Nachbarn waren betroffen und hätten sich wie sie hintergangen und betrogen gefühlt.

AK sieht Vertragsbruch

Aus Sicht der AK Steiermark entsprechen die vorliegenden Angebote der ENW nicht den vertraglich zugesicherten Preisen, von denen es hieß, sie würden aus Herstellungskosten plus zwei Prozent sogenannter Eigenkomponente errechnet werden. Mit den aktuellen Angeboten läge man eindeutig drüber, weil der Kaufpreis ganz anders berechnet wird, so Jurist Karl Raith, Wohnrechtsexperte bei der AK Steiermark. Hier ist der Fall der Grazerin neben vielen anderen Fällen eingegangen.

Mindestens 100 Wohnungen der ENW sind steiermarkweit betroffen, so der Konsumentenschützer. Wie es aussehe, habe die Wohnbauvereinigung in allen Fällen ihre Verträge gebrochen und stets um zehntausende Euro mehr verlangt als ursprünglich vereinbart.

ENW beruft sich auf Gesetzesnovelle

Die AK Steiermark forderte die ENW deshalb auf, die Kaufpreise der Wohnungen wieder auf Basis der vertraglichen Zusagen zu bilden. Das Unternehmen argumentierte hingegen, ein niedrigerer Preis sei gesetzlich nicht mehr erlaubt. Aufgrund einer Novelle des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes im Jahr 2016 sei man jetzt verpflichtet, den sogenannten Buchwert der Immobilie zu verlangen, das ist der aktuelle Mindestkaufpreis der Immobilie am Markt.

Eine solche Novelle könne aber keineswegs bestehende, vertragliche Vereinbarungen aushebeln, so Raith.

VKI prüft Musterprozess

Zum Fall der Grazerin äußerte sich die ENW gegenüber help.ORF.at in einer schriftlichen Stellungnahme: Die Konsumentin sei weder zur Anmietung einer Wohnung überredet, noch sei ihr vor zehn Jahren ein Kostenvoranschlag übergeben worden. Die Informationen, die sie erhielt, hätten der damaligen gesetzlichen Lage entsprochen, hätten aber rein informativen Charakter gehabt, so die ENW.

Nachdem die Wohnbaugenossenschaft gegenüber der AK Steiermark nicht eingelenkt habe, nahm die AK Kontakt mit dem Verein für Konsumenteninformation (VKI) auf. Dort prüft man jetzt die Möglichkeit einer Klage gegen die ENW. Wahrscheinlich sei ein Musterprozesses, der aus mehreren Verfahren bestehen könnte. „Damit alle Varianten an Konstellationen, die es gibt, abgedeckt sind“, so AK-Jurist Raith.