Eine Frau studiert die Produkteangaben vor dem Kühlregal in einem Supermarkt
Greenpeace/Mitja Kobal
Greenpeace/Mitja Kobal

Was die Herkunftskennzeichnung bei Lebensmitteln bringen soll

Eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung bei verarbeiteten Lebensmitteln soll ab 2023 in Österreich national umgesetzt werden. Gleichzeitig arbeitet aber auch die EU-Kommission an einer entsprechenden Verordnung. Umweltorganisationen freuen sich über mehr Transparenz, bei der Lebensmittelindustrie fürchtet man zusätzlichen Aufwand und höhere Kosten.

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Die Verordnung zur Herkunftskennzeichnung soll für verpackte Lebensmittel wie Wurstwaren, Aufstriche und Milchprodukte gelten. Auch Großküchen sind betroffen, also Betriebe, die Speisen an Kantinen, Krankenhäuser oder Schulen liefern. Gastronomiebetriebe sind von der Regelung derzeit nicht umfasst. Dennoch dürfte durch die neuen Vorschriften die Anzahl gekennzeichneter Produkte in den Regalen der Supermärkte deutlich steigen, sagt Sebastian Theissing-Matei, Landwirtschaftssprecher bei Greenpeace Österreich.

Verordnung gilt für Fleisch, Eier und Milch

An sich ist die Herkunft der Zutaten bereits jetzt bei vielen österreichischen Lebensmitteln erkennbar. Das AMA-Gütesiegel etwa schreibt auch bei verarbeiteten Produkten vor, dass die enthaltenen Rohstoffe aus Österreich kommen müssen, sofern diese in ausreichender Menge und Qualität zur Verfügung stehen. Hier handelt es sich aber um ein freiwilliges System, sagt Theissing-Matei. Die neue Regelung werde nun erstmals alle Herstellerunternehmen dazu verpflichten, anzugeben, aus welchem Ursprungsland die Hauptzutat eines verarbeiteten Lebensmittels stammt.

Die Kennzeichnungspflicht soll für Milch, Fleisch und Eier gelten. Als Haupt- oder auch Primärzutat gelten diese Rohstoffe dann, wenn das fertige Produkt zu mehr als 50 Prozent aus ihnen besteht. Eine Kennzeichnung aller Zutaten, die für die Produktion notwendig sind, ist nicht geplant.

Grillfleisch, Würste, Eintöpfe und alkoholfreie Getränke lagern in einem Automaten
APA/dpa/Roland Weihrauch
Neben verarbeiteten Fleisch- und Wurstwaren müssen auch Ei- und Milchprodukte deklariert werden

Nur die Hauptzutat muss deklariert werden

Dafür hat der Greenpeace-Landwirtschaftssprecher allerdings Verständnis. Eine Kennzeichnung aller Inhaltsstoffe sei beispielsweise bei Tiefkühllasagne in der Praxis administrativ nicht mehr handhabbar, so Theissing-Matei. Die Kennzeichnung der Primärzutat sei daher ein praktikabler Kompromiss und ein „positiver Schritt in Richtung Transparenz“ für Konsumentinnen und Konsumenten.

Herkunft ist kein Qualitätsmerkmal

In der Werbung wird lokale Herkunft häufig mit besonders hoher Qualität in Verbindung gebracht. Vom „Feinkostladen Österreich“ ist die Rede. Aber nicht alles, was in Österreich produziert wird, ist automatisch besser, etwa im Hinblick auf die Tierhaltung. Zwar seien die Standards in manchen Bereichen hoch, die Zustände in der Schweinehaltung beispielsweise seien hierzulande aber extrem problematisch, sagt Theissing-Matei.

Vollspaltböden und abgeschnittene Schwänze

Die nach wie vor zulässigen Vollspaltböden führen zu schwerwiegenden Verletzungen, und damit sich die Tiere aus Frustration nicht in die Schwänze beißen, werden diese kupiert. Das bedeutet, sie werden vorsorglich und ohne Narkose gekürzt. Ein Vorgehen, mit dem Österreich gegen EU-Recht verstößt. In so einem Fall sei auch ein Hinweis auf die österreichische Herkunft „nicht viel wert“, so Theissing-Matei.

Schweine in einem Schweinestall
APA/dpa/Marijan Murat
Im Nationalrat haben die Grünen gegen ein Verbot der umstrittenen Vollspaltböden in der Schweinehaltung gestimmt

WKO: Nur heimische Betriebe werden belastet

Beim Fachverband der Lebensmittelindustrie in der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) ist man von den Plänen der Bundesregierung zur Herkunftskennzeichnung bei verarbeiteten Lebensmitteln grundsätzlich wenig begeistert. Man müsse bedenken, dass die Vorgaben nur in Österreich und ausschließlich für österreichische Herstellerinnen und Hersteller gelten, sagt Fachverbandsgeschäftsführerin Katharina Koßdorff. Diese seien gezwungen, sich an die strengeren Auflagen zu halten, was zusätzlichen Aufwand und zusätzliche Kosten bedeute. Die Folge wäre, dass heimische Produkte teurer würden, was man „mitten in der größten Teuerungswelle doch wirklich nicht wollen könne“, so Koßdorff.

Importprodukte sind in Verordnung nicht umfasst

Importprodukte sind von der Regelung tatsächlich nicht betroffen. Diese sind gemäß geltender EU-Richtlinien auf dem Markt zugelassen. Österreich kann hier im Alleingang weder Vorschriften erlassen noch Importverbote verhängen. Es entstünde ein Wettbewerbsnachteil, sagt Koßdorff, der zusätzliche logistische Aufwand und die daraus resultierende Kostenbelastung sei beträchtlich. Rohstoffe müssten bereits getrennt eingekauft, separat gelagert und getrennt transportiert werden. Zusätzlich müssten sie getrennt voneinander verarbeitet, verpackt und etikettiert werden.

Versorgungssicherheit bei Lebensmitteln – Statistik
APA

Österreich ist bei Lebensmitteln stark von Importen abhängig. Lediglich in wenigen Bereichen wie der Fleisch- und der Milchproduktion kann die heimische Lebensmittelwirtschaft als autark bezeichnet werden. Gerade die aktuellen Krisen hätten gezeigt, wie fragil solche Importlieferketten sein können, so Koßdorff.

Industrie warnt vor höheren Preisen

Eine neue Kennzeichnungspflicht würde die Bedingungen für die verarbeitende Industrie zusätzlich erschweren und Preise in die Höhe treiben. Wenn etwa eine Rohware nicht in ausreichender Menge verfügbar sei oder ein Lieferant ausfällt und die Lieferkette unterbrochen ist, müssten die Unternehmen relativ rasch auf einen anderen Rohstoff zugreifen, so Industrievertreterin Koßdorff: "Wenn dann der Rohstoff aus einem anderen Land importiert werden muss, stimmt die Kennzeichnung am Etikett nicht mehr, und das muss geändert werden.“ Eine Folge wäre, dass zusätzliches Verpackungsmaterial und damit auch zusätzliche Energiekosten anfallen. Das sei auch aus ökologischer Sicht wenig sinnvoll, sagt Koßdorff.

Greenpeace: Krise als Ausrede, um Fortschritt zu bremsen

Klarerweise stellen die aktuellen Krisen die Lebensmittelindustrie auf eine harte Probe, sagt dazu Greenpeace-Experte Theissing-Matei: „Was ich aber nicht gut finde, ist, dass man mit dieser Möglichkeit des Krisenszenarios jegliche progressiven Fortschritte für Konsumentinnen und Konsumenten versucht aufzuhalten und weg-zu-argumentieren.“ Derzeit sei man seitens der Industrie gewohnt, häufig Bezugsquellen zu wechseln, um Kosten zu sparen, sagt Theissing-Matei. Ein gewisses Maß an Flexibilität beim Lieferantenwechsel würde nun verlorengehen. Auf der anderen Seite würde aber die Landwirtschaft von besseren Absatzmöglichkeiten profitieren.

Milchbauer bei der Arbeit
Daniela Köppl
Die Landwirtschaft dürfte von der Verordnung profitieren, die verarbeitende Industrie fürchtet hingegen steigende Kosten

„Höhere Konsumpreise nicht gerechtfertigt“

Dass in Zeiten großer Unsicherheit, in denen Lieferketten förmlich zusammenbrechen, die Lage am Nahrungsmittelsektor angespannt ist, sei natürlich nachvollziehbar, so Theissing-Matei. Dass aber ein Lieferantenwechsel unter normalen Umständen zu großen Preiserhöhungen für Verbraucherinnen und Verbraucher führen müsse, glaubt der Landwirtschaftsexperte nicht. Auf das einzelne Produkt gerechnet seien die Kostenschwankungen je nach Bezugsquelle eher gering. Für die Unternehmen, die große Mengen an Rohstoffen für die Verarbeitung benötigen, sei das natürlich von Bedeutung, aber bei Konsumentinnen und Konsumenten sollten sich diese Preisschwankungen nur in einem sehr geringen Ausmaß bemerkbar machen, so Theissing-Matei.

„Ohne Erdgas werden die Lebensmittel knapp“

Katharina Koßdorff von der Wirtschaftskammer beurteilt die Gesamtsituation insgesamt kritischer. Die große Unsicherheit in Hinblick auf die Gasversorgung bereite derzeit „großes Kopfzerbrechen“. Die Branche sei de facto zu einhundert Prozent von Erdgas abhängig. Wenn es hier zu Unterbrechungen kommt, dann gebe es tatsächlich ein Versorgungsproblem und nicht „nur“ ein Preisproblem, so Koßdorff: „Wir fragen uns schon, ob die Agrar- und Lebensmittelpolitik zum jetzigen Zeitpunkt die richtigen Prioritäten setzt.“

Ministerin Köstinger im Weizenfeld
BMLRT/Gruber
Die Ankündigung der ehemaligen Landwirtschaftsministerin Köstinger (ÖVP) kam zu einem überraschenden Zeitpunkt

Österreichs Alleingang muss von EU genehmigt werden

Tatsächlich kam die Ankündigung der ehemaligen Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) zur verpflichtenden Herkunftskennzeichnung für viele überraschend. Zumal auch noch nicht feststeht, ob ein nationaler Alleingang in diesem Bereich überhaupt durchgeht, da sind sich Katharina Koßdorff und Sebastian Theissing-Matei einig. Denn bereits im Herbst will die Europäische Kommission einen eigenen Vorschlag zur Herkunftskennzeichnung vorlegen, der dann in der gesamten Union gelten soll. Dass die EU gerade in dieser Phase eine rein österreichische Lösung durchwinkt, bezweifeln die Experten.

Kooperation der Industrie mit Greenpeace?

Einen gemeinschaftlichen Ansatz würde man jedenfalls vorziehen, sagt Industrievertreterin Koßdorff: „So lange für alle Marktteilnehmer die Wettbewerbsbedingungen und die Regeln gleich sind, so lange können wir mit zusätzlichen Auflagen im Grunde genommen leben." Greenpeace-Experte Sebastian Theissing-Matei zeigt sich von dieser Aussage positiv überrascht: „Da bin ich gespannt, ob das dann wirklich auch so kommen wird, in der Vergangenheit wäre das nicht mein Eindruck gewesen.“ Sollten der Industrieverband und Greenpeace in dieser Sache aber tatsächlich „gemeinsam an einem Strang ziehen können, für mehr Transparenz in der Lebensmittelproduktion in der gesamten europäischen Union, dann wäre das natürlich gut“, so Theissing-Matei.