Windräder aus der Ferne im Sonnenuntergang
APA/dpa/Sebastian Gollnow
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Erneuerbare Energien: Ob, wie und wann wir die Wende schaffen

Bis 2030 soll in Österreich produzierter Strom zu hundert Prozent aus erneuerbaren Energien stammen. Aber können wir den steigenden Energiebedarf tatsächlich mit Erneuerbaren decken? Ist eine CO2-freie Energieversorgung realistisch? Können wir auf fossile Energieträger und Atomstrom gänzlich verzichten? Und welche Kosten könnte die Energiewende für Verbraucherinnen und Verbraucher bedeuten?

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Die Wälder brennen, Städte und Landschaften werden überflutet, der Klimawandel ist sichtbar geworden. Stimmen, die die Klimakrise leugnen, werden zunehmend leiser. Ein großer Hebel, um den CO2-Ausstoß zu senken, wäre zweifellos die Energieerzeugung. Eine Abkehr von fossilen Energieträgern wie Kohle, Gas und Erdöl scheint oberstes Gebot der Stunde, da sind sich Expertinnen und Experten weitgehend einig.

Ökostrom: Einhundert Prozent nur auf dem Papier

Im vergangenen März wurde das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) vorgestellt. Dieses sieht unter anderem vor, dass Strom in Österreich bis 2030 zu hundert Prozent aus erneuerbaren Energien kommen soll. Das bedeutet aber nicht, dass die in Österreich genutzte Energie auch in der Praxis ausschließlich aus erneuerbaren Quellen stammen wird.

Wenn Politikerinnen und Politiker in diesem Zusammenhang von „einhundert Prozent“ sprechen, haben sie lediglich die Jahresbilanz im Blick, sagt der ehemalige Vorstand der Regulierungsbehörde E-Control, Andreas Eigenbauer. Übers Jahr gerechnet sei es durchaus möglich, dieses Ziel rechnerisch zu erreichen, weil Wasserkraft sowie Wind und Solaranlagen im Sommer Überschüsse produzieren. Da diese Überschüsse aber nicht langfristig gespeichert werden können, kommen sie in den Export. Sie stehen also in der Bilanz, können von den Österreicherinnen und Österreichern im Bedarfsfall aber nicht genutzt werden.

Windräder neben Bäumen im Sonnenaufgang
APA/dpa/Tom Weller
Hundet Prozent Ökostrom kann in der Bilanz stehen, in der Praxis dürften wir auch weiterhin auf Importenergie angewisen sein

„Im Winter sinkt die Produktion um 70 Prozent“

Im Winter bricht die Energieproduktion der Erneuerbaren um etwa 70 Prozent ein, sagt Eigenbauer. Während der Heizperiode ist Österreich also auf Energieimporte angewiesen. Während dieser Zeit kommt auch hierzulande Atom- oder Kohlestrom zum Einsatz. Die bilanzielle Versorgung habe mit der tatsächlichen Vollversorgung nichts zu tun, so Eigenbauer.

Derzeit setzt Österreich bei der Energieversorgung intensiv auf Wasserkraft. Diese sei schon „aus historischen Gründen“ stark ausgebaut, sagt Eigenbauer. Zudem kommen vor allem Gaskraftwerke zum Einsatz, die auch die Fernwärme mit Energie versorgen. Ein Ausbau erneuerbarer Energieträger könne Österreichs Importabhängigkeit jedoch nicht minimieren, da die Importe eben vor allem in den Wintermonaten notwendig sind.

Erneuerbare Energien und Versorgungssicherheit

Das Stromnetz ist ein empfindliches System. Bereits kleine Schwankungen können zu ernsten Problemen führen, schon mehrmals kam es in diesem Jahr zu großflächigen Stromausfällen. Das Szenario eines Totalausfalls (Blackout) wird in diesem Zusammenhang verstärkt diskutiert. Erneuerbare Energien gelten hinsichtlich der Versorgungssicherheit als unsicherer, weil sie im Gegensatz zu Großkraftwerken meist wetterabhängig sind.

Der Ausbau erneuerbarer Energien könne die Netzstabilität gefährden, wenn zu viele Großkraftwerke überhastet abgeschaltet werden und man davon ausgehe, mit Erneuerbaren eine Vollversorgung sicherstellen zu können, sagt Eigenbauer. Dieses Bild werde von politischer Seite derzeit gerne gezeichnet, es lenke aber von den tatsächlichen technischen Problemen ab. Etwa von der Frage, wie man eine extreme Kältewelle im Winter stemmen könne.

Kohlekraftwerk
APA/dpa/Julian Stratenschulte
Experte: Großkraftwerke werden auch weiterhin notwendig sein, um Versorgungsengpässe auszugleichen

Wasserstoffkraftwerke als Zukunftshoffnung

Um eine weitgehend risikolose Energieversorgung sicherstellen zu können, werde man auch in Zukunft Großkraftwerke benötigen, die nicht erneuerbare Energie produzieren, meint Eigenbauer. Der Experte begrüßt zwar den Ausstieg aus Kohle- und Nuklearanlagen, dies werde aber zugleich den verstärkten Einsatz von Gaskraftwerken zur Folge haben müssen, sagt der Experte. Gaskraftwerke emittieren weit weniger CO2 als die derzeit noch gebräuchlichen Kohlereaktoren.

Eine Zukunftshoffnung seien auch Wasserstoffkraftwerke, die mit Brennstoffzellen arbeiten. Diese könnten in Zukunft eventuell den Energieüberschuss, der im Sommer produziert wird, in den Winter transferieren und erneuerbare Energien auf diese Weise auch in großem Maßstab zu einsetzbar machen. Die Speichertechnologie der Wasserstoffkraftwerke seien aber noch längst nicht ausgereift, so Eigenbauer. Ob die Möglichkeit, erneuerbare Energie langfristig zu speichern, tatsächlich Realität wird, ist unter Experten derzeit noch umstritten.

Speicherkraftwerke als Überbrückungshilfe

Eine weitere Möglichkeit, erneuerbare Energie zu speichern, bieten Pumpspeicherkraftwerke. Sie können Netzschwankungen aber nur kurzfristig überbrücken, weil sie Energie lediglich für einen Tag oder eine Woche speichern können. Den Bedarf für den Winter könne man mit der Hilfe von Speicherkraftwerken nicht decken, außerdem sei deren Errichtung mit einem langwierigen Genehmigungsverfahren verbunden und bringe in der Regel auch heftige Proteste von Naturschützerinnen und Naturschützern mit sich.

Themenbild Blackout
APA/GEORG HOCHMUTH
Manche Experten meinen, dass der Umstieg auf erneuerbare Energien die Blackout-Gefahr erhöht

Global gesehen ist es mit dem Ausstieg aus fossilen Energieträgern zudem noch nicht weit her. Sowohl China als auch Schwellenländer wie Indien setzen weiterhin auf den Ausbau der Kohlekraft. Bei der Suche nach CO2-freien Alternativen ist auch die Kernenergie wieder ins Zentrum der Debatte gerückt. Frankreich setzt auf einen Ausbau der Atomkraft und engagiert sich für die Anerkennung der Kernenergie als nachhaltige Energieform. Atomgegner wie Österreich und Luxemburg sprechen sich klar dagegen aus, die Mehrheit der EU-Staaten dürften aber Pro-Atom eingestellt sein, sagte jüngst Bundeskanzler Nehammer. Die EU-Kommission hat erst kürzlich angekündigt, Atom- und auch Gaskraftwerke zumindest kurzfristig als erneuerbare Investments einzustufen. Österreich hat Widerstand gegen die Klassifizierung der Atomkraft als „nachhaltig“ angekündigt.

Atomkraftwerke als Alternative?

Wenn man ausschließlich die CO2-Reduktion im Blick habe, könne man für die Atomkraft argumentieren, meint Eigenbauer. Die Atomgegner halten dem entgegen, dass man die Summe der Umweltauswirkungen eines Kraftwerks im Blick haben müsse, und von dieser Warte aus betrachtet seien Nuklearanlagen auszuschließen. Hier komme es aber eben auf die Sichtweise an. Als Alternative zur Kernenergie müssten auch Länder wie Frankreich beispielsweise Gaskraftwerke ausbauen und ein gewisses Maß an Treibhausemissionen in Kauf nehmen.

Mit dem Ausbau erneuerbarer Energien allein sei der Kampf gegen die Klimaerwärmung nicht zu gewinnen, sagt Eigenbauer. Alle verfügbaren Konzepte gehen davon aus, dass es gelingen muss, den Energieverbrauch zu halbieren. Dieser Bereich werde momentan massiv vernachlässigt, bis heute gebe es in Österreich kein brauchbares Energieeffizienzgesetz, kritisiert der Experte. Dem Fundament, auf dem der Ausbau erneuerbarer Energien aufsetzen soll, nämlich die Reduktion des Verbrauchs, werde derzeit von der Politik zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet, so Eigenbauer.

Pro-Atom-Demonstration in Frankreich
AFP / SEBASTIEN BOZON
Viele Franzosen sehen in Atomkraft ein wirksames Mittel, um die CO2-Emissionen zu drosseln

Experte: Senkung des Verbrauchs um 50 Prozent

Die Senkung des Energieverbrauchs durch eine Modernisierung der Infrastruktur sei mindestens so wichtig wie das Errichten neuer Anlagen, sagt Eigenbauer. Dies sei zweifellos eine Mammutaufgabe, weil sowohl in der Industrie, dem Wohnbau als auch im Hinblick auf Mobilität enorme Anstrengungen unternommen werden müssen, um die erforderlichen Modernisierungen realisieren zu können.

Auch Verbraucherinnen und Verbraucher seien gefordert, gegebenenfalls Sanierungsmaßnahmen in Angriff zu nehmen. Das Umrüsten von Heizsystemen oder eine Gebäudesanierung sei zunächst kostspielig, könne sich aber langfristig rechnen, auch wenn man die Preisentwicklung auf dem Energiesektor im Auge hat. Durch gezielte Sanierung lasse sich der Energiebedarf um etwa 75 Prozent senken, was letztlich auch „robust gegen jede Form von Preissteigerung“ mache, so Eigenbauer.

„Energie wird empfindlich teurer werden“

Grundsätzlich werde Energie wohl teurer werden, meint der ehemalige E-Control-Vorstand. Im Jahr 2009 sei man in der Europäischen Union davon ausgegangen, dass Bürgerinnen und Bürger in 15 bis 20 Jahren etwa 15 bis 16 Prozent ihres Jahreseinkommens zur Deckung des Energiebedarfs werden aufwenden müssen.

Die ambitionierten Ziele der Energiewende werde man in den derzeit geplanten Zeiträumen bis 2040 kaum umsetzen können, meint Eigenbauer. Wenn man außerdem berücksichtigt, dass große Teile der Welt immer noch dramatisch unterversorgt sind und über kaum genug Energie verfügen, um grundlegende Bedürfnisse wie sauberes Trinkwasser oder eine grundlegende medizinische Versorgung zu gewährleisten, sei es höchste Zeit, tragfähige Konzepte zu erarbeiten, um einerseits die Einsparungspotentiale in Industriestaaten zu nutzen und andererseits die Situation ärmerer Länder zu verbessern.