Frau sitzt vor einem Tisch mit Rechnungen
Getty Images/Z+/Ziga Plahutar
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Ab Juli droht Schuldnern der Internetpranger

Am 1. Juli tritt ein neues Exekutionsrecht in Kraft. Für Schuldner gelten dann neue Regeln. Gläubiger können auf eigene Faust ein Insolvenzverfahren beantragen, die Namen der Betroffenen werden in ein öffentliches Register eingetragen. Arbeitgeber und Hausverwaltungen können jederzeit prüfen, welche Personen im Verdacht stehen, zahlungsunfähig zu sein. Noch bevor das Verfahren begonnen hat. Die Reform führt aber auch dazu, dass Betroffene schneller im Insolvenzverfahren sind, wodurch die Schulden nicht mehr anwachsen können und sich die persönliche Situation nicht weiter verschlimmert.

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Die Coronavirus-Krise hat viele Menschen wirtschaftlich hart getroffen. Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit oder Unternehmenspleiten – die Folgen ziehen sich quer durch alle Schichten. Das merkt man mittlerweile auch verstärkt bei Hilfsorganisationen, sagt Klaus Schwertner, der Geschäftsführer der Caritas Wien. Auffällig sei, dass sich viele Menschen erstmals an die Caritas gewandt haben.

Verschuldung oft mit Scham belastet

Dazu zählen auch Menschen, die niemals gedacht hätten, dass sie einmal Hilfe brauchen, so Schwertner. Etwa Personen, die vor der Pandemie in der Kultur- oder in der Eventszene gearbeitet haben und krisenbedingt nun auf Unterstützung angewiesen sind.

Arbeitslosigkeit und Krankheit sind statistisch gesehen die Hauptgründe dafür, dass Menschen gezwungen sind, Schulden aufzunehmen. Verschuldet zu sein, sei aber nach wie vor mit Scham belastet, sagt Schwertner. Viele Menschen versuchen, ihre Situation zu verheimlichen, und tun viel dafür, damit das Umfeld nicht mitbekommt, dass sie sich in einer finanziellen Notlage befinden. Das könne dazu führen, dass Rechnungen ungeöffnet in der Schublade landen und das Problem verdrängt wird.

Namen von Schuldnern werden online gestellt

Private Schulden zu verheimlichen, dürfte in Zukunft allerdings schwieriger werden. Mit 1. Juli tritt ein neues Exekutionsrecht in Kraft. Künftig kann ein Gläubiger vor Gericht beantragen, dass gegen seine Schuldnerinnen und Schuldner ein Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet wird, sagt Bernhard Sell, Jurist bei der Schuldnerberatung Wien. Hierbei handle es sich im Prinzip um ein Insolvenzverfahren, dem sich in der Folge auch andere Gläubiger anschließen können.

Frau blickt auf zahlreiche Rechnungen
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Wer im Verdacht steht, Schulden zu haben, kann ab Juli im Internet bloßgestellt werden

Personen, die sich in Gesamtvollstreckung befinden, werden in der Ediktsdatei vermerkt. Dabei handelt es sich um ein öffentliches Register, in das gerichtliche Bekanntmachungen eingetragen werden und das auch online abrufbar ist. Die Schuldnerberatung Wien kritisiert, dass die Namen von Betroffenen bereits veröffentlicht werden können, bevor überhaupt ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.

Existenzprobleme durch den Internetpranger?

Bis jetzt seien Personendaten erst dann in die Ediktsdatei aufgenommen worden, wenn die Betroffenen bereits in ein Insolvenzverfahren verstrickt waren, erklärt Sell. Nun geschehe das zu einem Zeitpunkt, wo überhaupt noch nicht entschieden sei, ob es zu einem Insolvenzverfahren kommen wird, kritisiert Sell.

Nachbarn, Kollegen, aber auch Hausverwaltungen, Arbeitgeber, Mobilfunkanbieter oder Versicherungen können auf die Ediktsdatei online zugreifen, sagt Sell. Mit potenziell weitreichenden Folgen für die Betroffenen. Banale Verträge wie Internet- oder Mobilfunkverträge können in der Regel nicht mehr abgeschlossen werden. Dasselbe gelte beispielsweise auch für Haushaltsversicherungen, denn welcher Unternehmer würde mit einer Person, die als „zahlungsunfähig“ vermerkt ist, Verträge abschließen, so Sell. Auch wichtige Verträge wie Miet- oder Dienstverträge würden zahlungsunfähigen Personen meist verweigert.

Gesetzesreform, um die Gerichte zu entlasten

Im Justizministerium wird argumentiert, dass die Reform mithelfe, die Zahl der vielen und langwierigen Verfahren zu reduzieren. Außerdem könne man auf diese Weise mehr Menschen, die überschuldet sind, dazu bringen, in Privatkonkurs zu gehen. Das würde auch den Betroffenen helfen, ihre persönliche Lage nicht weiter zu verschlimmern.

Außerdem verweist man im Justizministerium darauf, dass es im Prinzip schon vorher möglich war, dass Gläubiger ein Insolvenzverfahren beantragen und Schuldnerinnen und Schuldner darüber hinaus ohnehin gesetzlich verpflichtet seien, nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag zu stellen.

Eine Person unterschreibt einen Vertrag
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Auch lebenswichtige Verträge werden zahlungsunfähigen Personen in der Regel verweigert

Auch bei der Schuldnerberatung sieht man die positiven Aspekte der Reform. Natürlich sei es zu begrüßen, wenn Gerichte nicht weiter durch unzählige teure Exekutionsverfahren belastet würden und mehr Menschen, die überschuldet sind, den Weg zur Schuldnerberatung finden, um einen vielleicht längst überfälligen Privatkonkurs zu beantragen. Insofern sei die Gesamtvollstreckung im Grunde kein schlechtes System, sagt Bernhard Sell. Zu kritisieren sei jedoch die „Offenkundigkeit der Veröffentlichung und die damit verbundene Anprangerung der Schuldnerinnen und Schuldner“.

Zahlungsplan oder Abschöpfungsverfahren

Menschen, die verschuldet sind, können unter bestimmten Voraussetzungen einen Privatkonkurs beantragen. Sie müssen etwa ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten und einen Betrag zur Schuldentilgung beiseitelegen können. Sollte eine Lohnpfändung zur Tilgung der Schulden notwendig sein, müssen Betroffene entweder über einen Arbeitsplatz verfügen oder sich nachweislich um einen solchen bemühen.

In vielen Fällen kann im Rahmen des Privatkonkurses ein Zahlungsplan mit den Gläubigern vereinbart werden. In so einem Fall zahlen die Betroffenen eine vorher festgelegte Quote ihrer Schulden in einem Zeitraum von längstens sieben Jahren ab. Ist das nicht möglich, wird ein Abschöpfungsverfahren eingeleitet, bei dem ein gewisser Teil des Gehalts an den Gläubiger abgeführt werden muss. Wenn sich eine Person in Privatkonkurs befindet, werden keine Zinsen auf die offenen Forderungen mehr eingehoben. Auch gerichtliche Pfändungen werden umgehend gestoppt.

Entschuldung ab Juli schon nach drei Jahren möglich

Im Zuge der Reform wurde die Verfahrensdauer des Abschöpfungsverfahrens von fünf auf drei Jahre verkürzt. Menschen, die von einer Gehaltspfändung betroffen sind, können also in frühestens drei Jahren schuldenfrei sein. Da ein Insolvenzverfahren aber nun auch auf Initiative eines Gläubigers eingeleitet werden kann, wird auch Druck aufgebaut, sich gegebenenfalls dem Privatkonkurs zu stellen. Wenn man vom Gericht darüber informiert wird, dass man als zahlungsunfähig eingestuft wurde und in der Ediktsdatei gelandet ist, sei nämlich höchste Eile geboten, sagt Bernhard Sell von der Schuldnerberatung.

Frau sitzt vor einem Tisch mit Rechnungen
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Schuldnerberater und Hilfsorganisationen raten, rechtzeitig Hilfe zu suchen, bevor die Lage eskaliert

Diese Personen sollten bis spätestens 30 Tage nach der Eintragung in der Ediktsdatei einen Termin bei der Schuldnerberatung vereinbart haben, um sich die Möglichkeit der dreijährigen Entschuldung offenzuhalten, so Sell. Man müsse also relativ rasch reagieren, da sonst weiterhin das alte Recht angewendet werde.

Schuldnerberatung bietet Hilfe bei Budgetplanung an

Auch wer einfach nur das Gefühl hat, dass ihm oder ihr die finanziellen Probleme über den Kopf wachsen, sollte sich an die Schuldnerberatung wenden, sagt Sell. Wer noch nicht nachweislich in Schulden versinkt, könne etwa eine Budgetberatung in Anspruch nehmen. Um die Schwellenangst zu nehmen, werde die Erstberatung auf Wunsch auch telefonisch durchgeführt.

Im Fall der Fälle könne die Schuldnerberatung dafür sorgen, dass die Schulden nicht mehr steigen, und auch wenn der Weg aus den Schulden oft kein leichter sei, brauche man sich zumindest nicht mehr vor Schikanen der Behörden fürchten, meint Sell. Die entsprechenden Gerichtstermine laufen standardisiert ab, ohne dass die Betroffenen Peinlichkeiten ausgesetzt würden.

Caritas: Plaudertelefon für menschliche Ansprache

Die Coronavirus-Krise und die damit verbundene Wirtschaftskrise könnten bewirken, dass die Kluft zwischen Arm und Reich noch weiter auseinander geht, sagt Caritas-Wien-Geschäftsführer Klaus Schwertner. Schulden belasten nicht nur das Budget, sondern auch die Psyche. Neben einer Corona-Nothilfe-Hotline hat die Caritas gemeinsam mit Partnerorganisationen auch das Plaudernetz ins Leben gerufen. Dieses Service biete Personen, die einsam sind oder sich mit ihren Problemen alleingelassen fühlen, eine einfache Möglichkeit, sich mit anderen Menschen auszutauschen, so Schwertner.

Auch große Schuldnerkarrieren können klein beginnen. Wenn man beispielsweise bemerkt, dass man öfter Geld bei Freunden borgt und die Rückzahlung gerne auch mal etwas aufschiebt, sollte man sich Gedanken machen. Auch wenn das möglicherweise nichts bedeutet, so könne es doch ein erstes Anzeichen für eine kommende Verschuldungsproblematik sein.

Schwertner rät dringend dazu, sich gegebenenfalls frühzeitig an Stellen wie die Caritas wenden, um Hilfe anzunehmen. Denn: „Wenn der Rucksack an Problemen schon zu groß wird und sich bereits viele Pflastersteine in diesem Rucksack befinden, werde es immer schwieriger, professionelle Hilfe effektiv anbieten zu können.“