Eine 83-jährige Frau hält eine Ein-Euro-Münze in der Hand
APA/dpa/Karl-Josef Hildenbrand
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Private Altersvorsorge: „System in Schieflage“

Falsche Beratung, unzulässige Klauseln, verschwiegenes Risiko: Nirgendwo sonst gingen Verbraucherschützer in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten derart oft vor Gericht wie im Vorsorgesektor. Das provisionsgetriebene System der privaten Altersvorsorge sei in Schieflage, kritisiert ein Verbraucherschützer des VKI. Die „dritte Säule“ bleibe die schwächste.

Beim Stichwort „private Altersvorsorge“ denke er zuerst an unzufriedene Konsumentinnen und viele Beschwerden, sagt Walter Hager, Finanzfachmann beim Verein für Konsumenteninformation (VKI). Nicht von ungefähr: In kaum einem anderen Bereich zieht der VKI so oft vor Gericht. Schon seit Jahrzehnten vertreten die Verbraucherschützer Sparerinnen und Sparer, deren Reserven für die Pension in Finanzprodukten verpufften. Es ging unter anderem um falsche Beratung, unzulässige Klauseln und hoch spekulative Produkte, die als sichere Vorsorge verkauft wurden.

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Das Problem der Provisionen

„Das System ist in Schieflage aus meiner Sicht“, so Hager gegenüber help.ORF.at. „Das Ganze ist dermaßen provisionsgetrieben, dass man aus dem Schlamassel gar nicht mehr rauskommt.“ Das betreffe nicht nur abhängige Berater, die für die Banken und Versicherungen direkt arbeiten, sondern auch unabhängige Makler und Vermögenberater. „Auch die sind sehr provisionsgetrieben. Für eine Kfz-Versicherung bekomme ich für einen Vertrag ungefähr 30 Euro Provision pro Jahr. Wenn ich dagegen eine Lebensversicherung verkaufe, bekomme ich 2.000 bis 3.000 Euro auf einmal. Das ist natürlich der Grund, warum Berater solche Dinge verkaufen.“

Seit den 1990er Jahren wird private Altersvorsorge massiv beworben, seit ungefähr der Jahrtausendwende wird sie staatlich gefördert. Dieser politische Wille zur „dritten Säule“ des Pensionssystems – die ersten beiden sind die staatliche Pension und die betriebliche Vorsorge – sollte Durchschnittsverbraucher zu Aktionären machen, das Verhältnis zum Kapitalmarkt normalisieren und das Narrativ von angeblich unfinanzierbaren solidarischen Pensionen festigen.

Staatlich gefördertes Verlustgeschäft

Das Projekt ist teilweise gescheitert, zum Beispiel was die staatlich geförderte Vorsorge angeht: Die millionenfach verkauften Verträge der ersten Auflage von 2003 erwiesen sich als staatlich zertifiziertes Verlustgeschäft. Auch eine Überarbeitung der staatlichen Förderungen zehn Jahre später konnte nicht begeistern.

Die „dritte Säule“ bleibt die schwächste, sagt auch Walter Hager vom VKI: „Ich würde die ‚erste Säule‘ und vielleicht auch noch die zweite als die wichtigeren ansehen. Die dritte ist ein Zubrot, aber erstens für viele nicht leistbar und zweitens werden häufig falsche Entscheidungen getroffen.“ Wer etwa zu früh aus Vorsorgeverträgen aussteigt, zahle drauf: „Das ist im Endeffekt Kapitalvernichtung.“

Kein Mittel gegen Altersarmut

Wirklich seriös lasse sich die Frage nach zusätzlicher privater Vorsorge nur beantworten, wenn die individuellen Umstände genau untersucht werden. Nicht nur die gegenwärtigen Einkommensverhältnisse, sondern auch die zu erwartenden Einkünfte und Ausgaben in der Pension. Bei vielen bleibt kein Spielraum für private Vorsorge. „Da sind wir beim großen Thema Altersarmut, vor allem von Frauen“, so Hager. „Erstens geringes Einkommen, zweitens teilzeitbeschäftigt, dann kommt vielleicht noch eine Trennung dazu – gegen die Gefahren der Altersarmut wird man mit der ‚dritten Säulen‘ nicht vorwärtskommen, das ist meiner Ansicht nach eher ein politisches Thema.“

Fest steht jedenfalls: Private Vorsorge muss man sich schon in der Gegenwart leisten können; und wer es nicht schon ist, wird dadurch im Alter nicht reicher. „Es hat sich in den vergangenen 40 Jahren gezeigt: Kein Vorsorgeprodukt hat es geschafft, die Inflation nennenswert zu schlagen“, so Hager. Ausreißer in guten Börsenjahren gebe es zwar immer wieder, „aber im Endeffekt nivelliert es sich dann bei vier, fünf Prozent.“ Renditeversprechen, die darüber hinausgehen, könne man getrost vergessen. „Diese Modellrechnungen sollte man gar nicht anschauen.“

„Zweite Säule“ nicht auszahlen lassen

Wer es sich leisten kann und sich dafür entscheidet, auch privat vorzusorgen, sollte damit möglichst früh beginnen, rät VKI-Finanzexperte Hager. Der Zinseszins sei nicht zu unterschätzen. Auch langer Atem sei nötig. Wer Vorsorgeverträge zu schnell wieder auflöst, werde draufzahlen.

Ähnliches gilt auch für die „zweite Säule“, die betriebliche Altersvorsorge, auch „Abfertigung neu“ genannt. „Da wird oft der Fehler gemacht, sich die ‚Abfertigung neu‘ beim Jobwechsel auszahlen zu lassen. Das ist Zusatzkapital, das ich bis zum Pensionsantritt nicht angreifen würde“, empfiehlt Hager.