Frau demonstriert für das bedingungslose Grundeinkommen
APA/dpa/Wolfgang Kumm
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Krise befeuert Diskussion um Grundeinkommen

Die Schere zwischen Arm und Reich geht seit Jahrzehnten immer weiter auseinander. Kann ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) Teil der Lösung sein? Wie würde sich eine solche Maßnahme auf unser Steuer- und Sozialversicherungssystem auswirken? Führt das Grundeinkommen zu mehr Freiheit für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, oder würde die Maßnahme viele Betroffene in die Armutsfalle befördern, weil Arbeitsprogramme und Schulungen wegfallen?

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Das bedingungslose Grundeinkommen soll allen Menschen, unabhängig vom sozialen Status, einen monatlichen Fixbetrag sichern. Eine Auszahlung würde bedingungslos erfolgen, also ohne dass eine Bereitschaft zur Erwerbstätigkeit oder die Teilnahme an Schulungen gefordert wird. Auch Gutverdiener und Millionäre hätten Anspruch darauf. Auf der anderen Seite würden alle allgemeinen steuer- und abgabenfinanzierten Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder Kindergeld entfallen, so sehen es zumindest die geläufigsten Modelle vor.

Basislohn ohne Gegenleistung

Momentan ist die Auszahlung von Sozialleistungen an zahlreiche Bedingungen geknüpft. Bezieher der Mindestsicherung dürfen beispielsweise über keine Ersparnisse verfügen und müssen dem Arbeitsmarkt grundsätzlich zur Verfügung stehen, sofern sie arbeitsfähig sind. Mit der Einführung des Grundeinkommens würde sich das ändern, sagt der Repräsentant des österreichischen Grundeinkommen-Volksbegehrens, Klaus Sambor.

Über die genaue Höhe werde noch diskutiert, sie solle aber in jedem Fall existenzsichernd sein und allen Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen, so Sambor. Das solidarische Sozialversicherungssystem solle aber erhalten bleiben und weiterhin über die Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer finanziert werden. Das Grundeinkommen solle als staatliche Leistung hinzukommen.

ABD0103_20160127 – BERN – SCHWEIZ: Initianten halten Plakate mit Umfrageergebnissen hoch, waehrend einer Aktion zum Start der Abstimmungskampagne fŸr ein bedingungsloses Grundeinkommen, am Mittwoch, 27. Januar 2016 auf dem Bundesplatz in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer). – FOTO: APA/KEYSTONE/PETER KLAUNZER
APA/KEYSTONE/PETER KLAUNZER
In der Schweiz wurde im Jahr 2016 über die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens abgestimmt

Neue Steuergesetze sollen Grundeinkommen finanzieren

Die Wirtschaftskammer (WKO) steht dieser Idee ablehnend gegenüber. Ein Grundeinkommen sei unfinanzierbar, heißt es auf der WKO-Webseite. Österreich habe im Jahr 2016 Steuereinnahmen von etwa 81 Milliarden Euro erzielt, ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1.000 Euro monatlich würde bereits rund 103 Milliarden Euro kosten, ohne, dass auch nur ein Euro in das Bildungs- oder Gesundheitssystem geflossen sei, rechnet die WKO vor.

Um das bedingungslose Grundeinkommen finanzieren zu können, müsse die Steuergesetzgebung geändert werden, sagt Grundeinkommens-Befürworter Sambor. Wer mehr habe, müsse mehr beitragen. So ließe sich diese Leistung finanzieren und der gesellschaftliche Zusammenhalt fördern, da die Schere zwischen Arm und Reich nicht in dem Maß auseinandergehen würde, wie das derzeit der Fall ist. Außerdem würde die Einführung des Grundeinkommens erhebliche Sparpotentiale eröffnen, die letztlich dem Staat zu Gute kämen.

„Was verteilt wird, muss erwirtschaftet werden“

Gegner des Grundeinkommens argumentieren, dass viele Empfängerinnen und Empfänger die Erwerbsarbeit dann grundsätzlich meiden würden. Vor allem Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor würden demzufolge unbesetzt bleiben. Diese Gefahr sieht der Leiter des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) Christoph Badelt nicht. Er gehe davon aus, dass viele auch weiterhin einer Arbeit nachgehen würden. Er halte ein bedingungsloses Grundeinkommen jedoch sowohl aus ökonomischer wie auch gesellschaftspolitischer Sicht für nicht sinnvoll.

Man könne in einer Gesellschaft nur jene Sach- und Dienstleistungen verteilen, die vorher erwirtschaftet worden sind, sagt Badelt. Man solle kein Zeichen dahingehend setzen, dass jemand, der arbeitsfähig ist, nicht auch die Verpflichtung habe „in das System hineinzuarbeiten, um letztlich den Kuchen herzustellen, der nachher verteilt wird“.

„Erwerbsarbeit und Grundeinkommen kein Widerspruch“

Auf der anderen Seite benötige man ein dichtes soziales Netz, um diejenigen zu unterstützen, die aus welchen Gründen auch immer in ökonomischen Schwierigkeiten sind oder nicht in der Lage sind, einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Etwa weil sie Kinder sind, beziehungsweise weil sie alt oder krank sind. Diese Personen müssten soweit abgesichert werden, dass sie ein würdiges Leben führen können. Dabei sei es egal, woher die Betroffenen kommen und ob sie jemals gearbeitet haben oder nicht, so Badelt. Dazu benötige es Reformen, das soziale Netz, wie es derzeit in Österreich existiere, sei nicht ausreichend.

ABD0105_20160127 – BERN – SCHWEIZ: Initianten tanzen waehrend einer Aktion zum Start der Abstimmungskampagne fŸr ein bedingungsloses Grundeinkommen, am Mittwoch, 27. Januar 2016 auf dem Bundesplatz in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer). – FOTO: APA/KEYSTONE/PETER KLAUNZER
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Die fortschreitende Technisierung wird viele Arbeitsplätze obsolet machen

Erwerbsarbeit und Grundeinkommen seien keinesfalls ein Widerspruch, argumentiert Grundeinkommens-Befürworter Sambor. Selbstverständlich müssten weiterhin Güter hergestellt und Dienstleistungen erbracht werden, die für die Gesellschaft wichtig seien. Die momentanen Auswüchse der Konsumgesellschaft wolle man hingegen nicht fördern, so Sambor: „Man soll produzieren, was man wirklich braucht.“

Sozialversichert, ohne Beiträge zu zahlen?

Das Sozialversicherungssystem solle in der derzeitigen Form erhalten bleiben und auch weiterhin durch Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge finanziert werden. Zusätzlich solle eine Wertschöpfungsabgabe eingeführt werden (im politischen Diskurs oft salopp als Maschinensteuer bezeichnet). Die Wertschöpfungsabgabe solle von Unternehmen abgeführt werden, die ihre Produktion verstärkt automatisieren und Arbeitsplätze abbauen. Auf diese Weise würden auch jene Unternehmen einen sozialen Beitrag leisten, die aufgrund eines niedrigen Personalstands wenig ins Sozialversicherungssystem einzahlen, so Sambor.

Christoph Badelt kritisiert, dass arbeitsfähige Personen, die ausschließlich von einem bedingungslosen Grundeinkommen leben, zu keinem Zeitpunkt Sozialversicherungsbeiträge abführen würden. Denn diese seien ja an die Einnahmen aus einer Erwerbstätigkeit gekoppelt. Dass diese Personengruppe letztlich dennoch pensionsberechtigt sei, ohne jemals etwas ins System eingezahlt zu haben, hält der Ökonom weder wirtschaftlich noch ethisch für vertretbar.

Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf Augenhöhe?

Befürworter des Grundeinkommens argumentieren, dass dadurch die Stigmatisierung, die Arbeitslose und Erwerbsunfähige im Alltag häufig erfahren müssen (Stichwort: Sozialschmarotzer), aufgehoben wäre, da das Grundeinkommen eben allen Personen bedingungslos zusteht. Dass diese Stigmatisierung beendet wäre, bezweifelt Badelt. Personen, die ausschließlich vom Grundeinkommen leben, würden wohl auch weiterhin mit Vorwürfen und Vorurteilen konfrontiert sein, meint der WIFO-Chef.

Klaus Sambor geht davon aus, dass Grundeinkommensbezieher weiter arbeiten würden. Man müsse aber nicht jeden schlecht bezahlten Job annehmen. Durch das Grundeinkommen könnten Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber auf Augenhöhe verhandeln. Man habe die Möglichkeit „Nein“ zu sagen und könne außerdem einer Tätigkeit nachzugehen, die man selbst für sinnvoller erachtet. Darüber hinaus könne man die Entscheidung treffen, weniger zu arbeiten, da die elementaren Bedürfnisse abgesichert seien.

Grundeinkommen als Benachteiligung für Frauen?

Dass ein Grundeinkommen zu mehr Freiheit führt, bezweifelt Badelt. Viele relevante politische Gruppierungen seien im Gegenteil davon überzeugt, dass Grundeinkommensbezieher „auf dem Abstellgleis“ landen könnten. Davon wären unter anderem auch Frauen stark betroffen. Es sei nicht auszuschließen, dass Arbeitgeber Frauen benachteiligen könnten, mit dem Argument: "Wozu brauchst du arbeiten – du beziehst sowieso das Grundeinkommen.“ Aus diesem Grund würden auch viele Feministinnen diese Idee ablehnen.

„Wir haben eine Reihe von großen gesellschaftlichen Problemen in unserem Wirtschaftssystem“, räumt Badelt ein. Eines davon sei, dass durch den technologischen Fortschritt eine Reihe von Arbeitsplätzen wegfallen werde, die nur schwer ersetzt werden können. Hier werde man alles daran setzen müssen, den Menschen eine höhere Qualifikation zu ermöglichen. Das Grundeinkommen sei aber keine tragfähige Antwort, um diese großen Probleme zu lösen, meint der Wirtschaftswissenschaftler.

Milton Friedman und die „negative Einkommenssteuer“

Modelle eines Grundeinkommens existierten bereits in der Antike. Der Engländer Thomas Paine (1737 – 1809) wird hingegen oft als Vordenker des modernen Grundeinkommens bezeichnet. Er entwickelte 1796 die Idee einer einmaligen Grundausstattung für alle Jungen und einer Grundrente für alle Alten. Der US-Ökonom Milton Friedman (1912 – 2006) entwickelte 1962 die „negative Einkommenssteuer“, nach der ein zuvor festgelegter Geldbetrag mit der Steuerschuld verrechnet wird. Wer weniger als diesen Steuerfreibetrag verdient, sollte eine staatliche Zuwendung erhalten, die diese Differenz auffüllt.

Friedmans Modell wurde unter US-Präsident Richard Nixon dem Kongress vorgelegt, letztlich aber nicht umgesetzt. Bei einem mehrjährigen Feldversuch im Kanada der 70er Jahre, der auf Friedmans Thesen basierte, erhielten 1.000 Familien einen monatlichen Geldbetrag, der mit einem 50-prozentigen Steuersatz an ihr Einkommen gekoppelt wurde.

Befürworter in allen politischen Lagern

Das Experiment endete 1979, als Kanada aufgrund der Ölkrise in eine Rezession rutschte. Teile der europäischen Linken sehen in Friedmans neoliberalen Ideen die Abschaffung des Sozialstaats. Sie befürchten, dass durch die negative Einkommenssteuer nicht nur eine Grundsicherung, sondern auch weitere Teile des Sozialstaats ersetzt werden sollen, was die Kluft zwischen Arm und Reich verstärken würde.

Obwohl das Grundeinkommen nach wie vor häufig mit dem System des neoliberalen Wirtschaftswissenschaftlers Friedman assoziiert wird, gibt es durchaus auch Befürworter, die dem linken Lager zugerechnet werden. Zu ihnen zählt etwa der Schweizer Soziologe Jean Ziegler. Zu den Anhängern zählen auch der DM-Gründer Götz Werner und der niederländische Historiker Rutger Bregman.