Frau sitzt vor einem Tisch mit Rechnungen
Getty Images/Z+/Ziga Plahutar
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Ende der Stundung

Schuldnerberater rechnen mit überforderten Haushalten

Die finanziellen Folgen der Pandemie werden uns länger beschäftigen als die gesundheitlichen, warnen Schuldnerberater. Die krisenbedingt gewährten Stundungen von Mieten und Kreditraten laufen im März aus, viele Haushalte würden die Rückstände kaum bewältigen können.

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Um die finanziellen Folgen der Coronakrise abzufedern, wurden Mieten, Kreditkarten und Versicherungsbeiträge gestundet. Diese Stundungen laufen mit Ende März aus, die Rückstände können ab dann fällig gestellt werden. Bei der Schuldnerberatung Wien sind die Folgen der Wirtschaftskrise bereits jetzt spürbar. Mittelfristig rechne man mit einer Zunahme von 30 bis 40 Prozent an Betroffenen, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten werden, sagt Bernhard Sell, er ist Jurist bei der Schuldnerberatung Wien.

„Firmenpleiten von 30 bis 40 Prozent sind zu erwarten“

Es handle sich um Personen, die Schulden in der Höhe von 5.000 bis 10.000 Euro angehäuft haben. Aus Sicht der Schuldnerberatung sind das eher kleinere Beträge, die aber bereits ausreichen, um eine Überschuldung der Betroffenen herbeizuführen. Finanzieller Spielraum, um Kredite zu bedienen oder Mietrückstände auszugleichen, bestünde in diesen Fällen oft keiner mehr. Unter den Klienten seien auch viele Personen unter 25 Jahren.

Dazu kommt die Sorge um den Arbeitsplatz. Zwar ist die Zahl der Firmeninsolvenzen im Jahr 2020 sogar gesunken, dies dürfte aber in erster Linie den staatlichen Hilfspaketen geschuldet sein. Wenn die Covid-19-Hilfen auslaufen, werde sich dieser Effekt ins Gegenteil umkehren, meint der Schuldnerberater. Alles in allem werde es zu Insolvenzsteigerungen von 30 bis 40 Prozent kommen, da seien sich die Experten einig.

Alleinerziehende und Familien besonders betroffen

Schon jetzt suchen etwa Künstler, Einzelunternehmer und Gastronomen die Hilfe der Schuldnerberatung. Wenn dann noch eine Pleitewelle kommt, werden wohl auch Personen betroffenen sein, die momentan noch in Kurzarbeit sind – und dann mit Jobverlust und Nachzahlungen von Miete und Kreditraten zu kämpfen haben werden. Das betreffe sehr viele Frauen, Alleinerziehende und Familien mit Kindern. Auch Teilzeitbeschäftigte seien in einer schwierigen Situation, so wie alle Personen, die schon vor der Pandemie über ein geringes Einkommen verfügt hätten, so der Schuldnerberater.

Frau blickt auf zahlreiche Rechnungen
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Familien, Frauen und Alleinerziehende könnten von der Schuldenkrise hart getroffen werden

Wer merkt, dass das Bedienen von Kreditraten oder gar die Kosten für Miete, Gas und Strom zum Problem werden, dürfe keineswegs den Überblick über die Ausgaben verlieren, sagt Sell. Ein Haushaltsbuch in dem Einnahmen und Ausgaben gegenübergestellt werden, sei jedenfalls empfehlenswert. Auch gelte es, frühzeitig Einsparungspotentiale auszuloten. Dies betreffe etwa Sparformen wie Lebensversicherungen. Es sei kontraproduktiv, zu sparen, wenn man auf der anderen Seite seinen finanziellen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen könne, so Sell.

Schuldnerberatung bietet Budgetberatung an

Wenn das Konto dauerhaft überzogen ist, die Fixkosten zum Problem werden oder man öfter Geld bei Freunden borgen müsse, solle man die Hilfe der Schuldnerberatung in Anspruch nehmen. Diese bietet auch Budgetberatungen an. Einen Termin für eine telefonische Erstberatung sollte man gegebenenfalls eher schnell vereinbaren. Noch gebe es Ressourcen, angesichts der momentanen Situation könne sich das allerdings rasch ändern, so der Experte.

Im Rahmen der Beratung werde der Fall geprüft, im schlimmsten Fall kann ein Privatkonkursverfahren beantragt werden. Dies habe zur Folge, dass der Zugriff auf das eigene Konto über einen gewissen Zeitraum beschränkt werde, so Sell. Außerdem werde der Name des Schuldners in der Ediktsdatei vermerkt, einem öffentlich zugänglichen Register, das im Justizministerium aufliegt. Die Vorteile würden die Nachteile aber deutlich überwiegen, da man einen Teil der offenen Verbindlichkeiten abzahlen und auf diese Weise in absehbarer Zeit wieder ein schuldenfreies Leben führen könne.

Volkshilfe kann Mietrückstände übernehmen

Staatliche Förderungen wie etwa einen Fixkostenersatz für unverschuldet in Not geratene Privatpersonen gebe es keine, im schlimmsten Fall bleibe nur der Weg zu karitativen Organisationen oder dem Sozialamt, sagt Sell. Wenn beispielsweise die Delogierung droht, gebe es in Wien die Fachstelle für Wohnungssicherung (FAWOS) der Volkshilfe. Diese kann in Härtefällen auch Mietrückstände übernehmen.

Die Vergabe erfolge allerdings unter strengen Kriterien, die von der Magistratsabteilung für Soziales, Sozial- und Gesundheitsrecht (MA 40) vorgegeben werden. Die Einnahmen- und Ausgabensituation werde geprüft, ebenso wie die Frage, ob eine entsprechende Hilfe bereits in Anspruch genommen wurde und ob der Mietzins in der Vergangenheit regelmäßig entrichtet worden ist. In allen anderen Bundesländern mit Ausnahme des Burgenlands gibt es vergleichbare Einrichtungen.

„Wirtschaftliche Folgen noch über Jahre spürbar“

Wir stehen vor der größten sozialen Krise seit dem zweiten Weltkrieg, sagt Robert Blum, der Leiter von FAWOS. Das werde sich auch in den Obdachlosenzahlen widerspiegeln. Fünf Jahre nach dem zweiten Weltkrieg sei die Obdachlosigkeit in Wien am höchsten gewesen, auch heute werde dieser Prozess schleichend erfolgen. Der Experte erwartet einen dramatischen Anstieg der Wohnungsnot in den kommenden fünf Jahren. Man müsse jetzt alles daran setzen, die Menschen vor dem Wohnungsverlust zu schützen. Die derzeitigen finanziellen Mittel, die der FAWOS zur Verfügung stehen, werden nicht ausreichen, um der Situation Herr zu werden, so Blum.

Bei der Schuldnerberatung erwartet man in den kommenden Monaten sehr viele Klienten aus dem Bereich kleiner und mittelständischer Unternehmen. Das werde auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben, viele Jobs würden bald gar nicht mehr zur Verfügung stehen, etwa in der Gastronomie. Von einer raschen Erholung der wirtschaftlichen Lage könne man leider nicht ausgehen, meint Schuldnerberater Sell, die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen der Krise werden wir noch über viele Jahre spüren.