Eine Hand hält ein Smartphone mit geöffneter Stopp-Corona-App. Im Hintergrund ist grüne Wiese und Gebüsch
ÖRK/ LV NÖ / Lukas Hürner
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Corona-Tracing

Bilanz nach einem halben Jahr „Stopp Corona“-App

Die „Stopp Corona“-App des Österreichischen Roten Kreuz ist nun gut ein halbes Jahr alt. Im März war sie eine der ersten Contact-Tracing-Apps weltweit. Die hohen Erwartungen, die damals an sie gestellt wurden, hat sie noch nicht recht erfüllen können. Ihre Weiterentwicklung steht derzeit still.

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Seit 25. März steht die „Stopp Corona“ -App des Österreichischen Roten Kreuzes (ÖRK) nun schon zum Download in den App-Stores. So richtig durchgesetzt hat sie sich nicht.

Insgesamt gut eine Million Downloads

Die App wurde bisher 1.050.000-mal (Stand: 7. Oktober 2020) heruntergeladen. „Das ist ein guter Wert für eine App in Österreich, allerdings sind wir noch nicht dort, wo wir eigentlich hinwollen, damit die App auch volle Wirksamkeit entfalten kann“, sagt Gerry Foitik, Bundesrettungskommandant beim ÖRK.

Wie viele Menschen die App tatsächlich nutzen, könne das Rote Kreuz nicht genau erheben. Foitik schätzt, dass etwa zwei Drittel der Installationen aktiv sind.

Einige hundert Infektionsmeldungen verschickt

Bisher hat es laut ÖRK-Angaben 412 Infektionsmeldungen gegeben, die über die App kommuniziert wurden. Daneben wurden 1.628 Verdachtsfälle gemeldet (Stand: 7.10.2020). Wie viele Nutzerinnen und Nutzer durch diese Meldungen gewarnt wurden, könne man wegen der anonymen Funktionsweise der App allerdings nicht sagen, so Foitik.

Gibt ein Nutzer eine ärztlich bestätigte oder vermutete Coronavirus-Infektion in der App ein, werden alle anderen Nutzerinnen und Nutzer, mit denen der Infizierte in den vorherigen 48 Stunden Kontakt hatte, anonym benachrichtigt. Als eine dieser Kontaktpersonen erhält man bei einem Verdachtsfall eine „gelbe Warnung“, bei einer bestätigten Infektion eine „rote Warnung“. Daraufhin wird eine Selbstisolation empfohlen.

Eine Warnmeldung der App habe keinen Bescheidcharakter, d. h. niemand werde gezwungen, sich in Quarantäne zu begeben, betont der ÖRK-Bundesrettungskommandant: „Aber ich hab ja höchstes Interesse daran, wenn ich so eine Warnung bekomme, dass ich meine Familie, Freundinnen und Arbeitskollegen schütze, indem ich mich entsprechend verhalte und isoliere.“

Weiterhin viel Skepsis in der Bevölkerung

Nur wer in der App eine Infektion melde, müsse seine Telefonnummer bekanntgeben. Ansonsten würden keine personenbezogenen Daten gespeichert, betont Foitik. Dennoch herrscht der App gegenüber viel Skepsis, wie auch Forscherinnen und Forscher des Vienna Center for Electoral Research feststellten. In ihrer Panel-Studie im Juni fanden nur knapp die Hälfte der befragten Nutzerinnen und Nutzer, dass die App die Daten effektiv schütze. Bei den Befragten, die die App nicht nutzen, waren nur knapp zwölf Prozent vom effektiven Datenschutz überzeugt.

Für Nikolaus Forgo vom Institut für Innovation und Digitalisierung im Recht der Universität Wien ist das nicht überraschend: „Die zentrale Währung, mit der solche Lösungen verhandelt werden, ist die des Vertrauens. Ich glaube, dass das technische und das rechtliche Vertrauen am Anfang ziemlich erschüttert wurden.“ Er verweist auf Bugs, die anfangs zu Frustration bei App-Usern geführt hätten und den Vorschlag von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), die App verpflichtend zu machen.

Digitalrechtler Forgo: „Gesetzliche Absicherung fehlt“

Forgo verfasste im April eine Stellungnahme zu den datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen der App. „Damals habe ich angekündigt, dass man mit einer ‚österreichischen‘ Lösung – man sagt zwar es ist freiwillig, aber man sagt nicht, was das bedeutet – nicht erreichen würde, dass das ein signifikanter Teil der Bevölkerung installiert.“ Genau das sei letztlich auch geschehen, wie man an den Download-Zahlen sehe.

Der Rechtswissenschaftler fordert eine gesetzliche Grundlage, die einen „Installationszwang“ verhindert: „Wenn ein Arbeitgeber verlangt, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die App freiwillig installieren und nur mit einer freiwillig installierten App ins Büro kommen dürfen, ist es mit der Freiwilligkeit ganz schnell unklar.“ Gleiches gelte für Bar- und Restaurantbesuche: „Wenn dort die Installation der App verlangt wird, ist das dann auch weiter freiwillig?“

Außerdem müsse rechtlich als auch technisch sichergestellt werden, dass Nutzerinnen und Nutzer der App niemals behördlich identifiziert werden können – auch nicht bei einem hypothetischen „Superspreader-Event“ oder einer Kindesentführung.

„Stopp Corona Plattform“ entscheidet seit Juli über die App

Forgo kritisiert weiters die mangelnde Transparenz des Projekts „Stopp Corona“-App. Zwar habe man Ende April den Quellcode veröffentlicht, doch das sei nicht genug: „Transparenz bedeutet insbesondere auch: Was geschieht oder was geschieht nicht in welchem Szenario?“

Alle Menschen, die die entsprechende Expertise haben, könnten ihre Vorschläge auf Github einbringen und an der App mitentwickeln, sagt Foitik vom ÖRK. Für mehr zivilgesellschaftliche Beteiligung hat das ÖRK im Juli zudem die „Stopp Corona Plattform“ initiiert. An diesem Gremium sind beispielsweise die österreichische Bischofskonferenz, die NGO epicenter.works, Sozialpartner sowie Vertreterinnen und Vertreter aus der Politik beteiligt. Das ÖRK habe zwar ein Vetorecht, sagt Foitik, allerdings sei es dank der „Stopp Corona Plattform“ möglich, die App auf eine breite gesellschaftliche Basis zu stellen.

Individueller Nutzen der App nicht sofort ersichtlich

„Es ist sehr schwierig, den Menschen solche Lösungen einzureden, wenn nicht unmittelbar erkennbar ist, welchen individuellen Vorteil sie davon haben“, sagt Forgo von der Universität Wien. Es brauche altruistische Motivation, da man mit der App zuallererst andere, die man vielleicht angesteckt habe, warnen könne.

Dazu komme ein Netzwerkeffekt: „Wenn es wenige Leute nützen, gibt es auch wenig individuellen Nutzen und wenig Incentive, das zu nützen, und genau das passiert hier gerade.“ Es sei kein Wunder, dass kaum jemand die App nutze, wenn niemand eine positive Erfahrung damit habe, findet der Rechtswissenschaftler.

Seltene Benachrichtigungen: App wirkt inaktiv

Die App wirke ziemlich inaktiv, bedauert auch ÖRK-Bundesrettungskommandant Foitik: „Es ist aber dem Framework von Apple und Google geschuldet, dass wir gar nicht informieren können: ‚Wie gut funktioniert denn das Ding?‘“ Es sei ein schmaler Grat zwischen Meldungen, die Userinnen und User an das Funktionieren der App erinnern, und solchen, die nerven.

Er weist auf ein häufiges Missverständnis hin. Die „Überprüfung auf mögliche Begegnungen“, die sich über die App-Einstellungen anzeigen lassen, entspreche nicht der Zahl der ausgetauschten „Handshakes“, also Begegnungen mit anderen Nutzerinnen und Nutzern der App. „Niemand kann sehen, wie viele Kontakte tatsächlich aufgezeichnet werden, das ist ganz tief im Betriebssystem versteckt“, sagt Foitik. Es werde lediglich angezeigt, wie oft die App beim Server „nachgefragt“ habe, um zu überprüfen, ob sich unter den gespeicherten Kontakten jemand Infiziertes befinde.

Geldmangel: Seit Juni keine Weiterentwicklung mehr

Für Ende Oktober wäre ein Update geplant, das die Interoperabilität mit Tracing-Apps aus anderen EU-Staaten ermöglicht, sagt Foitik. Das bedeutet, dass die österreichische „Stopp Corona“-App in Zukunft zum Beispiel auch mit der deutschen „Corona Warn“-App „kommunizieren“ könnte.

Die deutsche Corona-Warn-App läuft auf einem Smartphone
APA/dpa/Michael Kappeler
Noch muss man außerhalb Österreichs die entsprechende nationale App installieren.

Ob dieser Termin eingehalten werden kann, bleibt offen, denn derzeit steht die Weiterentwicklung still. Grund dafür ist schlicht Geldmangel: Die Zwei-Millionen-Euro-Spende der Uniqa-Stiftung wurde mit dem letzten Update im Juni verbraucht, erklärt der Bundesrettungskommandant.

Er hofft auf eine baldige Finanzierungszusage seitens des Gesundheitsministeriums, das auf eine entsprechende Anfrage von help.ORF.at keine konkreten Angaben macht: „Das BMSGPK setzt sich für eine entsprechende Förderung seitens der Bundesregierung ein. Wir hoffen, dass die dazu erforderlichen Arbeiten in den kommenden Wochen abgeschlossen werden.“

Workaround für Interoperabilität mit anderen Tracing-Apps

Bis zum Update, das die Interoperabilität mit ähnlichen Tracing-Apps aus anderen EU-Staaten ermöglicht, kann man einen Workaround nutzen. Foitik empfiehlt, noch in Österreich die ausländische App, z. B. die „Corona Warn“-App aus Deutschland, herunterzuladen.

„Dann müssen Sie die beiden Apps gleichzeitig laufen lassen und in den vierzehn Tagen, nachdem sie wieder zurück sind, beide Apps jeden Tag einmal aktivieren“, erklärt der ÖRK-Bundesrettungskommandant. Nur so sei gewährleistet, dass die entsprechenden Schlüssel vom jeweiligen nationalen Server heruntergeladen werden und man gegebenenfalls eine Infektionsmeldung erhalte.