Schlagabtausch um Startgeld bei Vienna City Marathon

Muss der Veranstalter des abgesagten Vienna City Marathon die kassierten Startgelder zurückzahlen? Nein, meint der Veranstalter und verweist auf Experten und seine Geschäftsbedingungen. Diese wurden aber erst im März geändert und schließen nun eine Rückerstattung explizit aus. Bei vielen Juristen sorgt dieses Vorgehen für Verwunderung.

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Ein help.ORF.at-Bericht über den Vienna City Marathon löste heftige Reaktionen aus. Es ging um die Frage, ob der Veranstalter des Vienna City Marathon das bereits entrichtete Startgeld für die abgesagte Veranstaltung an die Teilnehmenden zurückzahlen muss.

Streit um Rechtsauslegung

Aus Sicht des Vereins für Konsumenteninformation (VKI) muss er das auf jeden Fall tun. Einen Teil müsse man sofort erstatten, bis zu einer Höhe von 70 Euro könne der Veranstalter einen Gutschein ausstellen. Sollte der Gutschein aber binnen zwei Jahren nicht eingelöst werden, müsse er auch diese 70 Euro zurückzahlen, so der VKI.

Die Enterprise Sport Promotion GmbH, die den Vienna City Marathon veranstaltet, bezweifelte das. Man gehe davon aus, dass die Teilnahmebedingungen rechtlich in Ordnung seien. Diese schließen eine Rückzahlung bei Absage der Veranstaltung derzeit aus. Ob man einen Gutschein ausstellen müsse, sei unter Experten umstritten.

Jurist: Veranstalter muss Risiko tragen

Eine Rechtsmeinung, die für Verwunderung sorgte. Es gebe keinen anerkannten Juristen, der eine solche Auffassung ernsthaft vertreten würde, meint Stefan Perner, der Vorstand des Instituts für Zivil- und Zivilverfahrensrecht an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien. Wer für eine Veranstaltung bezahlt habe und dann nicht daran teilnehmen kann, weil die Veranstaltung ausfällt, bekomme sein Geld erstattet, so Perner.

Vienna City Marathon 2019

APA/GEORG HOCHMUT

Im vergangenen Jahr passierten die Marathonläufer noch die Reichsbrücke

Juristisch spreche man in solchen Fällen von der „Risikotragung“, und dieses Risiko müsse im konkreten Fall der Veranstalter tragen, dies sei mehrfach ausjudiziert. Zwar gebe es noch kein Urteil im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie, es gebe aber natürlich eine Vielzahl von Urteilen zum Ausfall von Veranstaltungen, etwa durch Wetterereignisse. Die Rechtslage sei daher absolut eindeutig, so Perner.

Teilnahmebedingungen im März geändert

Der Veranstalter des Vienna City Marathon beruft sich auf seine Teilnahmebedingungen. Diese seien dieselben wie bei anderen Laufveranstaltern. Der WU-Jurist sah sich die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Enterprise Sport Promotion GmbH an und stellte fest, dass diese erst vor Kurzem geändert wurden. War im Jahr 2019 lediglich der Anspruch auf Schadenersatz explizit ausgeschlossen, so sei in der aktuellen Fassung eine Erstattung der Nenngelder ausgeschlossen, so Perner. Die neuen AGB seien seit April auf der Homepage des Vienna City Marathon abrufbar.

Eine Änderung mit Konsequenzen für Verbraucherinnen und Verbraucher. Denn Schadenersatz und Rückerstattung sind völlig verschiedene Dinge, so der Rechtsexperte: „Wenn ich mir den Fuß bei der Veranstaltung breche, weil ich über einen Kanaldeckel stolpere, dann reden wir von Schadenersatz.“ Dieser könne in gewissen engen Grenzen auch tatsächlich ausgeschlossen werden. Mit der Erstattung der Nenngelder habe das aber nichts zu tun, sagt Perner.

Experte: Einseitige Vertragsänderung unzulässig

Darüber hinaus könne man davon ausgehen, dass die Teilnahmebedingungen zu einem Zeitpunkt geändert wurden, als die Teilnehmerverträge mit den Läuferinnen und Läufern bereits abgeschlossen waren. Veranstalter können Vertragsbedingungen aber nicht einseitig ändern. Für bereits abgeschlossene Verträge seien die neuen Bestimmungen daher irrelevant, so der Universitätsprofessor.

Auch ganz grundsätzlich könne man die Erstattung der Startgelder nicht mittels AGB aushebeln, so Perner. Eine völlige Risikoüberwälzung auf Kundinnen und Kunden, die im konkreten Fall fast ausschließlich Verbraucherinnen und Verbraucherinnen sind, sei nach gesicherter Judikatur unzulässig. Juristisch formuliert handle es sich hierbei um „zwingendes Recht“, weil hier gesetzliche Vorgaben entgegenstehen.

Andere Veranstalter bieten Erstattung an

Help.ORF.at sah sich auch die AGB mehrerer österreichischer Marathonveranstaltungen an. Der Salzburg-Marathon und der Linz-Marathon schließen eine Rückerstattung der Nenngelder ebenfalls aus. Aus Salzburg heißt es dazu, dass man eine Versicherung angeboten habe, die die Erstattung der Nenngelder übernimmt.

Vienna City Marathon

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Ein Bild aus glücklicheren Tagen des Vienna City Marathon

In einer Stellungnahme an help.ORF.at schreibt der Veranstalter des Salzburg-Marathon: „Wenn keine zusätzliche Versicherung abgeschlossen wurde, appellierten wir an die Verbundenheit mit unserem Event und haben gebeten, auf die komplette Rückforderung des Nenngelds zu verzichten.“ Man habe den Teilnehmenden aber darüber hinaus eine Gutscheinlösung angeboten, die den gesetzlichen Vorgaben der Bundesregierung entspricht. Werden die Gutscheine nicht binnen zwei Jahren eingelöst, könnten die Kundinnen und Kunden ihr Geld zur Gänze zurückfordern.

Der Veranstalter des Linz-Marathon hat die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bereits per Brief darüber informiert, dass alle Nenngelder zurückgezahlt werden. Die fragliche AGB-Bestimmung werde man nach der Anfrage von help.ORF.at erneut prüfen und gegebenenfalls anpassen.

Wien-Marathon: „Müssen auf unseren Regeln beharren“

Der Vienna-City-Marathon-Veranstalter hält hingegen weiter an seiner Rechtsauffassung fest. In einer schriftlichen Stellungnahme an help.ORF.at heißt es: „Wir gehen davon aus, dass hier unverbindliche Rechtsmeinungen wiedergeben werden. Ob der Vienna City Marathon Gutscheine ausstellen muss oder nicht, stellt sich keineswegs eindeutig dar. Wenn überhaupt, eröffnet dies bloß dem Veranstalter eine Option, die aber einer anderweitigen Einigung mit den Teilnehmern nicht im Wege steht. Wir haben eine praktikable Lösung erarbeitet und vorgestellt, die von sehr vielen Läuferinnen und Läufern gut angenommen wird.“

Wien-Marathonlauf 2019

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Sport- und Kulturbetriebe leiden unter den Auswirkungen der Coronavirus-Krise

Die Geschäftsbedingungen habe man zum letzten Mal Anfang März 2020 geändert. Aber auch davor hätten Teilnehmer keinen Anspruch auf Erstattung des Nenngelds gehabt: „Wir müssen daher darauf beharren, dass es uns über unsere Teilnahmebedingungen erlaubt ist, Regeln zu vereinbaren, auf die wir im speziellen Fall dann auch vertrauen können. Dass unsere Rechtsmeinung gültig ist, wurde uns mehrfach von Experten bestätigt. Eine gesicherte Judikatur ist uns nicht bekannt.“

„Veranstaltungsbranche in großer Gefahr“

Die Enterprise Sport Promotion GmbH fürchtet angesichts der Coronavirus-Pandemie um ihre Existenz: „Wir sehen momentan eine große Gefahr für die Zukunft der gesamten Veranstaltungsbranche. Sollte einem Veranstalter tatsächlich nicht mehr zugestanden werden, im Falle einer Absage seine Vorlauf- und Planungskosten beanspruchen zu dürfen, so wird künftig kein Veranstalter mehr ein solches Risiko eingehen können.“

Der Veranstalter bietet weiterhin eine Übertragung des Startgelds auf einen der kommenden Bewerbe in den Jahren 2021 oder 2022 an. Teilnehmende der Hauptbewerbe, die diese Lösung ausschlagen, sollen lediglich 30 Prozent des gezahlten Nenngelds zurückbekommen.

Paul Urban Blaha, help.ORF.at

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