Fairtrade: Es ist nicht immer drin, was draufsteht

Das Fairtrade-System garantiert Bauern einen Mindestpreis, den sie erhalten, wenn Weltmarktpreise im Keller sind. Dieser wird im Oktober um zwanzig Prozent erhöht, sei aber dennoch zu gering, um davon leben zu können, sagen Kritiker. Bemängelt wird außerdem, dass Fairtrade-Rohstoffe bei der Verarbeitung​ mit konventionellen Rohstoffen gemischt werden dürfen.

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Gütesiegel, die fairen Handel suggerieren, und Logos, die den Eindruck erwecken wollen, ein Gütesiegel zu sein, gibt es wie Sand am Meer. Es sei aber dennoch keine Hexerei, sich im Siegeldickicht zurechtzufinden, meint Stefan Grasgruber-Kerl von Südwind, einem Verein, der sich für Menschenrechte und faire Arbeitsbedingungen einsetzt. Er empfiehlt, nur Gütesiegeln zu vertrauen, die von unabhängigen Stellen kontrolliert werden.

Fairer Handel: Nur drei Gütesiegel empfehlenswert

Mittlerweile gebe es zahlreiche Herstellerprogramme, bei denen Produzenten ihre eigenen Produkte mit Nachhaltigkeitszeichen versehen. Dagegen sei grundsätzlich zwar nichts einzuwenden, meint Grasgruber-Kerl, Konsumentinnen und Konsumenten rät der Experte dennoch, auf unabhängige Siegel zu vertrauen. Bei Herstellerinitiativen wie dem Cocoa-Life-Programm von Mondelez würden sich die Firmen de facto selbst prüfen oder Auditoren zuziehen, die im Auftrag des Unternehmens agieren. Unabhängige Gütesiegel in Bezug auf fairen Handel seien ausschließlich das Fairtrade-Siegel und mit Einschränkungen das UTZ-Zertifikat sowie die Auszeichnung der Rainforest Alliance, so Grasgruber-Kerl.

Arbeiter beim Orangenpflücken

Didier Gentilhomme

Auch faire Orangen müssen sich Marktgesetzen unterwerfen

Auch fairer Handel folgt kapitalistischen Regeln

Das niederländische UTZ-Gütesiegel und die Rainforrest Allience bieten ökologische und soziale Mindeststandards, wie ein Verbot von Regenwaldrodung oder das Verbot von Zwangs- und harter Kinderarbeit. Doch nur das Fairtrade-Siegel garantiere einen Mindestpreis für Bäuerinnen und Bauern, sagt Grasgruber-Kerl. Fairtrade orientiert sich am System der sozialen Marktwirtschaft und springt dort ein, wo der freie Markt versagt. Mit dem Mindestpreis sollen Schwankungen auf dem Weltmarkt aufgefangen werden. Ist der Preis im Keller, muss der garantierte Mindestpreis gezahlt werden. Liegt der Weltmarktpreis über dem Mindestpreis, muss der höhere Weltmarktpreis gezahlt werden. Der Mindestpreis wird von Fairtrade International festgelegt.

Fairtrade International ist der Zusammenschluss aller Fairtrade-Organisationen weltweit. Der Mindestpreis werde im Rahmen einer demokratischen Abstimmung festgelegt, erklärt Bernhard Moser, Pressesprecher von Fairtrade Österreich. Mit einem Anteil von fünfzig Prozent seien auch die Bäuerinnen und Bauern, die für das Fairtrade-Programm zertifiziert sind, stimmberechtigt. Es werde also nichts über die Köpfe der Betroffenen hinweg entschieden, sagt Moser.

Fairtrade erhöht Mindestpreis um zwanzig Prozent

Zu einem existenzsichernden Einkommen führe die Maßnahme dennoch nicht automatisch, sagt Südwind-Experte Grasgruber-Kerl. Südwind habe lange Zeit gefordert, dass Fairtrade den Mindestpreis erhöhen soll. Dieser müsse signifikant höher sein als der Weltmarktpreis, um den armutsgefährdeten Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zu helfen. Dies werde nun auch umgesetzt. Ab Oktober wird der Fairtrade-Mindestpreis um zwanzig Prozent erhöht. Auch für Kakao wurde der Mindestpreis kürzlich angehoben. Und zwar von 2.000 auf 2.400 US-Dollar pro Tonne Kakaobohnen.

Mann bei der Kakaoernte

Éric St-Pierre

Fairtrade hat den Mindestpreis für Kakaobohnen erhöht

Fairtrade-Bonus ist vom Absatz abhängig

Fairtrade arbeitet in der Regel mit Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zusammen, die sich zu landwirtschaftlichen Kooperativen zusammengeschlossen haben. Ein Problem ist allerdings, dass nicht garantiert werden kann, dass alle Produkte, die für Fairtrade produziert werden, auch zu diesen Bedingungen verkauft werden können. Auch Fairtrade ist hier den Marktgesetzen unterworfen. Wenn die Nachfrage nicht ausreicht, müssen die Kooperativen entweder lange auf ihr Geld warten oder letztlich doch wieder zu Weltmarktpreisen verkaufen. Auch dann, wenn diese gerade niedrig sind.

Es gehe einerseits um die Frage des Absatzes, so Grasgruber-Kerl, und auch darum, dass nicht zu viele Kooperativen in dem System zugelassen werden. Auch die Produzentinnen und Produzenten würden fordern, dass die Zahl zertifizierter Kooperativen nicht zu rasch steigen dürfe, um den Absatz ihrer Produkte nicht durch zu viel Konkurrenz zu gefährden, so der Experte.

Prämien für Gemeinschaftsprojekte

Zusätzlich zum garantierten Mindestpreis erhalten die Kooperativen Prämien, die in diverse Gemeinschaftsprojekte investiert werden können. Wie das Geld eingesetzt wird, entscheiden die Kooperativen im Rahmen demokratischer Abstimmungen. Unumstritten ist das Fairtrade-Siegel aber keineswegs. Es wird kritisiert, dass sich die Organisation primär um die Landwirtinnen und Landwirte, sprich um die Grundbesitzer und Eigentümer, kümmere. Plantagenarbeiterinnen und Erntehelfer sind vom System noch nicht gänzlich erfasst.

Kaffeeernte

Fairtrade International/Crossick

Mit den Prämien können Schulen gebaut und Geräte angeschafft werden

Dazu sagt der Geschäftsführer von Fairtrade Österreich, Hartwig Kirner, gegenüber help.ORF.at: „Wir haben uns das Ziel gesetzt, dass der größte Teil der Arbeiterinnen und Arbeiter auf zertifizierten Bananenplantagen in den nächsten Jahren ‚Living wages‘ verdient. Teilweise ist das bereits gelungen, aber in einigen Ursprungsländern ist leider noch einiges zu tun. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch dort in den nächsten drei Jahren große Fortschritte sehen werden. Auch auf afrikanischen Blumenfarmen konnten bereits deutliche Fortschritte erzielt werden. Wir versuchen auch, Verbesserungen für Erntehelferinnen und Erntehelfer bei Kleinbauernkooperativen zu erwirken. Aus den oben erläuterten Gründen gibt es dafür aber leider noch keine befriedigende Lösung.“

Fairtrade versucht, Kinderarbeit einzudämmen

Auch Kinderarbeit ist ein Phänomen, mit dem die Organisation konfrontiert ist. Wie auch in Österreich helfe der Nachwuchs der Bauernfamilien bei der täglichen Arbeit mit und erlerne früh, sein mögliches, späteres Handwerk, so Fairtrade-Geschäftsführer Kirner. Es gebe jedoch eine Grenze, wo aus Lernen und leichten Tätigkeiten ausbeuterische Kinderarbeit werde. Schwere und gefährliche Arbeiten würden hier nicht toleriert. Aus diesem Grund habe man ein Programm zur Sicherung von Kinderrechten ins Leben gerufen. Dabei gehe es unter anderem darum, Bewusstsein für dieses Thema zu schaffen und auch einen Bezug zu den Fairtrade-Standards herzustellen. Diese verbieten ausbeuterische Kinderarbeit explizit, und dieses Verbot werde auch bei angekündigten und unangekündigten Audits der Kontrollorganisation Flocert überprüft.

Leider könne man ausbeuterische Kinderarbeit aber nicht pauschal ausschließen, so Kirner. Bei 1,66 Millionen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern sowie Beschäftigten im Fairtrade-System in über 70 Ländern sei auch für Flocert eine lückenlose Kontrolle schwierig. Gerade darum sei es wichtig, die Gemeinschaften für dieses Thema zu sensibilisieren.

Mengenausgleich sorgt für Unmut

Ein weiterer Kritikpunkt ist der so genannte Mengenausgleich. Das bedeutet, dass Fairtrade-Rohstoffe bei der Verarbeitung mit konventionell produzierten Rohstoffen gemischt werden dürfen. Diese Regelung betrifft vier Produktgruppen, nämlich Zucker, Schokolade, Fruchtsaft und Tee. Diese Praxis kann letztlich dazu führen, dass man beispielsweise einen Orangensaft kauft, der das Faitrade-Siegel auf der Verpackung trägt, aber trotzdem keine einzige Fairtrade-Orange enthält.

Mann bei Orangenernte - nah

Didier Gentilhomme

Nicht in jedem Fairtrade-Orangensaft sind auch wirklich Fairtrade-Orangen

Trotz des Mengenausgleichs würden aber stets hundert Prozent der benötigten Zutaten für eine Tafel Schokolade oder einen Liter Orangensaft zu Fairtrade-Bedingungen produziert und eingekauft, so Kirner. Die Fairtrade-Standards würden also in jedem Fall eingehalten. Warum aber erlaubt Fairtrade diese Ausnahmen grundsätzlich? Bei der Schokoladenherstellung müssen Kakaobohnen in großen und teuren Anlagen verarbeitet werden, so Kirner. Der Mengenausgleich erlaube es, dass Fairtrade-Kakaobohnen gemeinsam mit Kakaobohnen aus konventionellem Handel in den Produktionsanlagen verarbeitet werden können. Dies erzeuge Synergien und spare Kosten. Der Mengenausgleich müsse außerdem auf der Verpackung gekennzeichnet sein, zum Beispiel in der Zutatenliste durch den Zusatz „mit Mengenausgleich“.

Verbraucherschützer kritisieren „Etikettenschwindel“

Der deutschen Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfahlen geht diese Maßnahme nicht weit genug. Wo „Fair“ draufsteht, müsse auch „Fair“ drin sein, heißt es auf der Webseite der Verbraucherschützer. Für Konsumentinnen und Konsumenten sei der Mengenausgleich wenig verständlich, weil der Hinweis ohne weitere Erläuterungen erfolge. Ist Fairtrade also möglicherweise ein Etikettenschwindel? Nein, meint dazu Südwind-Experte Grasgruber-Kerl: „Wenn das ein Etikettenschwindel ist, dann ist Ökostrom auch ein Etikettenschwindel.“ Auch den Ökostrom bezahle man zu hundert Prozent, und die entsprechende Menge würde auch produziert. Letztlich erhalte man persönlich aber trotzdem den Mix, der gerade aus der Steckdose kommt. Wer für eine Tafel Fairtrade-Schokolade bezahle, erhalte eine Tafel Schokolade und könne darauf vertrauen, dass Fairtrade-Schokolade auch in der gleichen Menge verkauft werde. Nur, dass diese vielleicht in der Packung daneben liegt.

Wer auf hundertprozentige Faitrade-Qualität Wert lege, der könne bei der EZA-Fairer Handel Ges.mbH einkaufen, so Grasgruber-Kerl. EZA steht für Entwicklung und Zusammenarbeit, und in dem Unternehmen werde Fairtrade plus betrieben. Maßnahmen, wie der Mengenausgleich, seien grundsätzlich untersagt. Alle Produkte, die über EZA-Fairer Handel angeboten werden, würden zu hundert Prozent auf der Basis von Fairtrade produziert, und die einzelnen Zutaten seien in jedem Fall bis zu der Kooperative, aus der sie stammen, zurückverfolgbar.

Paul Urban Blaha, help.ORF.at

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