Neue EU-Strategie gegen hormonschädigende Stoffe

Spielzeugbagger, Haarshampoo und Plastikgeschirr - alle diese Produkte können hormonschädliche Stoffe enthalten. Die EU-Kommission hat nun eine Strategie vorgelegt, um die Belastung durch diese Stoffe zu verringern. Für den Europäischen Verbraucherverband BEUC kommt der Schritt freilich zu spät, um Menschen zu schützen. Trotzdem lassen sich viele schädliche Produkte vermeiden.

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Hormonschädliche Stoffe - „endokrine Disruptoren“ - finden sich in den chemischen Bestandteilen vieler Alltagprodukte. Die eigentlichen Funktionen dieser Chemikalien sind vielfältig. Sie sollen zum Beispiel Plastik weich und flexibel halten und Kosmetika haltbar machen. Der unerwünschte Nebeneffekt besteht darin, dass sie den Hormonhaushalt durcheinander bringen können.

Gesundheitsrisiko Hormonchaos

Die Weltgesundheitsorganisation WHO listet rund 800 für Mensch und Umwelt bedenkliche Chemikalien auf. Wenn diese in den Körper gelangen, können sie schon bei kleinsten Mengen den sensiblen Hormonhaushalt stören. Die Wissenschaft sieht einen direkten Zusammenhang zwischen der Belastung durch hormonschädigende Stoffe und einer Reihe ernsthafter Gesundheitsrisiken.

Supermarkt, Kosmetika, Frau mit Einkaufswagen

dpa/dpaweb/dpa/Gero Breloer

Smartphone-Apps helfen durch das Dickicht der Inhaltsstoffe bei Kosmetika

Dazu zählen Unfruchtbarkeit von Mann und Frau, verfrühte Pubertät, oder ein erhöhtes Risiko für bestimmte Krebsarten. Kinder, Jugendliche und schwangere Frauen sind dabei besonders gefährdet. Verschiedene Studien stellten auch Veränderungen der Geschlechtsorgane ganzer Wildtierbestände fest, die mit hormonschädigenden Stoffen in Berührung gekommen waren.

EU-Kommission will Gesetze durchforsten

Tatsächlich könne man hormonschädigenden Stoffen derzeit kaum aus dem Weg gehen, sagt Johannes Kleis vom Europäischen Verbraucherverband BEUC: „Die Stoffe sind zum Beispiel in unseren Lebensmitteln, weil es Rückstände von Pestiziden gibt. Das ist auch der Fall bei Trinkwasser, aber sie befinden sich auch in Textilien oder Kosmetika“.

Mit der neuen Strategie will die EU-Kommission Menschen und Tiere besser vor hormonschädigenden Chemikalien schützen. Das beginnt bei einer genauen Definition, was als hormonschädigender Stoff gilt. Auf Basis dieser Definition sollen dann die Gesetze der Mitgliedstaaten einem „Fitness-Check“ unterzogen werden. Wo immer Schwachstellen im gesetzlichen Schutz vor hormonschädlichen Stoffen gefunden werden, sollen sie behoben werden.

Pestizide besser kontrolliert als Kosmetika

Bereits Ende 2017 legte sich die EU nach jahrelangen Verhandlungen auf eine Definition von hormonschädlichen Stoffen fest. Diese beschränkte sich allerdings auf Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel, für die seither EU-weit einheitliche Bestimmungen gelten.

Bei Alltagsprodukten wie Kosmetika, Spielzeug oder Lebensmittelverpackungen musste bislang noch von Fall zu Fall entschieden werden, ob die enthaltenen Stoffe unbedenklich sind. Umweltschutzorganisationen kritisieren, dass dadurch zu viele hormonschädliche Stoffe ihren Weg in Produkte und weiter in die Supermarktregale finden.

Außerdem seien die Kriterien für Hormonschädlichkeit sehr strikt - zu viele Stoffe würden deshalb als unbedenklich eingestuft. Doch die Folgen dürften schwer wiegen: Eine Studie aus dem Jahr 2016 schätzt, dass EU-weit jährlich Kosten in der Höhe von 163 Milliarden Euro durch Krankheiten entstehen, die von hormonschädigenden Stoffen ausgelöst wurden.

Kritik an EU-Kommission: Zu lange zu wenig getan

Mithilfe der neuen EU-Strategie sollen hormonschädigende Produkte in Zukunft aus den Regalen verbannt werden. Bis der Schutz gesetzlich verankert sein wird, dürfte allerdings noch viel Zeit vergehen, vermutet der Europäischen Verbraucherverband BEUC. Für den Verbrauchervertreter Johannes Kleis ist die Strategie der EU-Kommission zwar wichtig, komme allerdings viel zu spät.

„Die jetzige Kommission hat viel zu wenig getan. Seit 2014 hat man das Gefühl, dass auf die Bremse gedrückt worden ist“, so Kleis. Dieser Einschätzung schloss sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2015 in einem Urteil an. Es besagt, dass die EU-Kommission durch ihre Untätigkeit im Bereich der hormonaktiven Stoffe gegen EU-Recht verstoßen hat. Die Industrie habe Druck auf die EU-Kommission ausgeübt, sagt Johannes Kleis. Industrievertreter hätten sich in Stellungnahmen immer wieder bemüht, die Präsenz und Wirksamkeit von hormonschädlichen Stoffen in Produkten kleinzureden.

Apps zur Vermeidung hormonschädlicher Produkte

Da sich die Räder der Gesetzgebung allzu langsam drehen, müssen sich Konsumentinnen und Konsumenten trotz EU-Strategiepapier darauf einstellen, weiterhin auf Produkte mit hormonschädigenden Inhaltsstoffen zu stoßen. Eigeninitiative ist gefragt, wenn man sie vermeiden möchte. Um den Weg durch den Dschungel der Inhaltsstoffe zu vereinfachen, haben einige Europäische Konsumentenschutz-Organisationen Apps für das Smartphone entwickelt. Mit ihnen kann man Produkte direkt im Supermarkt auf hormonschädliche Stoffe prüfen.

Die Handykamera scannt den Barcode des Produkts und die App listet etwaige gefährliche Inhaltsstoffe wie Parabene in Haarshampoos oder künstliche UV-Filter in der Sonnencreme. „Für Verbraucher ist das ein wichtiges Hilfsmittel, weil man ganz einfach oft die notwendigen Informationen und das Wissen nicht hat“, so Johannes Kleis vom Verbraucherverband BEUC.

Hersteller müssen über Inhaltsstoffe informieren

Die Smartphone App „ToxFox“ der deutschen Umweltorganisation Bund ist kostenlos erhältlich. Wenn für ein Produkt noch keine Informationen vorliegen, kann man mit der App automatisierte Anfragen an den Hersteller versenden. Dieser ist bereits heute gesetzlich dazu verpflichtet, über die Inhaltstoffe seines Produkts Auskunft zu geben.

Die Antworten werden in die Datenbank der App eingespeist und sind dann für alle Nutzerinnen und Nutzer zugänglich. BEUC rechnet damit, dass derlei Apps helfen, den öffentlichen Druck gegen hormonschädliche Stoffe weiter zu erhöhen.

Miriam Hübl, help.ORF.at, Brüssel

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