„Verbraucherschutz kann nur europäisch gelöst werden“

Wirksamer Verbraucherschutz in Europa braucht Impulse aus Brüssel und aus den Hauptstädten, das zeigt sich gegenwärtig in der Debatte um den VW-Skandal und um die Einführung einer Sammelklage. Eine Renationalisierung des Konsumentenschutzes im europäischen Binnenmarkt ist der falsche Weg. Das sagen Christoph Schmon vom Europäischen Verbraucherverband BEUC und Otmar Lell vom deutschen Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) im Gespräch mit help.ORF.at.

help.ORF.at: Christoph Schmon, Sie sind beim Europäischen Verbraucherverband BEUC für Verbraucherrechte zuständig. Kann Verbraucherschutz in Europa noch nationale Angelegenheit sein?

Christoph Schmon: Es hat sich gezeigt, dass sich der Verbraucherschutz nicht mehr territorial orientiert, sondern am Binnenmarkt ausrichtet. Die großen Unternehmen agieren grenzüberschreitend; wir müssen das auch tun. Deswegen haben wir im Verband 43 Mitglieder und wir versuchen, gesamteuropäisch Lösungen zu finden.

help.ORF.at: Ist es im Binnenmarkt denkbar, wie der für Europa zuständige Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP) vor kurzem sagte, etwas „weniger EU im Konsumentenschutz“ zu haben?

Schmon: Aus unserer Sicht kann Verbraucherschutz nur europäisch gelöst werden kann. Die Probleme, die Verbraucher betreffen, betreffen alle Verbraucher in der Europäischen Union, das sind 500 Millionen. Wenn wir eine Renationalisierung hätten, dann führte das nur dazu, dass Verbraucher in einem Mitgliedsstaat besser geschützt sind als in anderen Mitgliedsstaaten. Wir sehen das am Volkswagen-Skandal: da gibt es recht gute Rechtdurchsetzungsmöglichkeiten in manchen Mitgliedstaaten, während in anderen Mitgliedsstaaten Behörden untätig bleiben und weder Kollektiv- noch Individualrechte zur Verfügung stehen. Für uns ist das nicht akzeptabel, wir glauben das solche großen Fälle auch große Lösungen brauchen.

help.ORF.at: Otmar Lell, Sie sind Leiter des Teams Handel und Recht beim deutschen Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) einer nationalen Verbraucherschutzeinrichtung. Wie wichtig ist die europäische Vernetzung für den vzbv?

Otmar Lell: Wie Herr Schmon eben sagte: wir leben im europäischen Binnenmarkt und die europäische Vernetzung ist unverzichtbar. Gleichwohl ist es natürlich auch so, dass die Impulse von den Nationalstaaten ausgehen und dass wir auf absehbare Zeit nicht sehen, dass alles auf der europäischen Ebene konzentriert sein wird. Das muss es auch nicht. In Deutschland gibt es gerade eine lebhafte Diskussion über die Einführung eines ersten Instruments für Sammelklagen mit dem Namen Musterfeststellungsklage. Mag sein, das etwas ähnliches auch von der europäischen Ebene kommen wird, wir wollen uns darauf aber nicht verlassen und deswegen ist es schon auch wichtig, dass die Nationalstaaten mit ihren Ideen Spielraum haben und sie verwirklichen können.

help.ORF.at: Die Sammelklage wäre also ein Beispiel dafür, dass der Impuls eher nicht aus Brüssel kommen wird, sondern aus den Hauptstädten?

Lell: Es ist beides möglich. Aber, wie gesagt: Wir sind uns jetzt sicher, angesichts des Koalitionsvertrags, der von der neuen deutschen Bundesregierung geschlossen wurde, dass es in Deutschland ein Instrument geben wird. Ob es von der europäischen Eben auch etwas geben wird, wissen wir nicht, wir setzten deswegen primär auf das, was in Deutschland passiert.

help.ORF.at: Herr Schmon, in Österreich stehen zum Thema Konsumentenschutz neun Zeilen im Regierungsprogramm. Das darin am konkretesten skizzierte Vorhaben ist ein Umbau des VKI: Die AK soll als ordentliches Mitglied durch Justiz- und Konsumentenschutzministerium ersetzt werden. Was würde das für die Mitgliedschaft des VKI im BEUC bedeuten?

Schmon: Für uns ist das noch nicht absehbar. Klar ist, dass der VKI einer der wichtigsten Impulsgeber in unserem Netzwerk ist. Und wir glauben, dass eine gute Ausstattung und eine gute Finanzierung notwendig ist, damit der VKI seinen Job machen kann. Wie das nationalpolitisch umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Wir hoffen dass der VKI erstarkt aus dem hervorgehen wird.

help.ORF.at: Ministerien als maßgebliche Mitglieder eines Konsumentenschutzvereins - gibt es das unter den BEUC-Mitgliedern?

Schmon: Unsere Mitglieder in Europa sind unterschiedlich aufgestellt. Manche bekommen einen staatlichen Zuschuss, andere sind rein privat, es gibt auch Mischformen. Für uns steht die Konstituierung nicht im Vordergrund. Für uns ist wichtig, kann etwas für Konsumenten bewegt werden. Und kann - in diesem Fall der VKI - unabhängig arbeiten und die Interessen der Konsumenten vertreten. Wir sind da ganz guter Dinge.

help.ORF.at: Wenn man sich nicht intensiv mit dem Thema beschäftigt, kann man den Eindruck bekommen, in Europa geben vor allem die Lobby der Konzerne die Richtung an. Wenn man sich das im Detail anschaut, sieht es anders aus: Roamingwegfall, Geoblocking-Aus, Verbesserungen bei der Gewährleistnug, und so weiter. Gilt das Bild von David gegen Goliath noch?

Lell: In den vergangenen Jahrzehnten sind überhaupt ganz viele Impulse aus Europa gekommen, Impulse in Richtung einer stärkeren Ökonomisierung unseres Lebens, aber auch Impulse für mehr Umweltschutz, für mehr Bürgerrechte, auch für mehr Verbraucherrechte. Da sind die Initiativen auch sehr stark von Europa ausgegangen. Ob man das im Moment noch immer so sagen kann ist eine andere Frage. Es gibt da eine Polarisierung: Recht, das einerseits den Verbrauchern dient, andererseits auch den Unternehmen. Ob das zusammengeht, das ist die Frage.

help.ORF.at: Den vzbv gibt es jetzt seit knapp 20 Jahren. Otmar Lell, Sie sind seit 2002 dabei – was hat sich in diesen eineinhalb Jahrzehnten getan?

Lell: Ich würde sagen: 2002 war noch die Hochzeit des Neoliberalismus. Das war auch die Zeit, wo viel über Liberalisierung, Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen gesprochen wurde und wo das massiv auf europäischer und nationaler Ebene vorangetrieben worden ist. Da hat man inzwischen auch erkannt, dass da viel den Bach runter gegangen ist. Dass man letztlich auch viel Verbraucherärger produziert hat. Dadurch, dass Leistungen der Daseinsvorsorge in Unternehmenshand gegeben worden sind und der Wettbewerb da einfach nicht dafür gesorgt hat, dass Verbraucher gut bedient werden. Das versucht man jetzt ein Stück weit zu korrigieren, da ist man aber noch längst nicht am Ende.

help.ORF.at: Welche Baustellen sehen Sie konkret?

Lell: Die Debatte über Rechtsdurchsetzung ist eine ganz wichtige. Es ist angesichts von standardisierten Massengeschäften überfällig, dass wir Instrumente bekommen, mit denen das Recht den Verbrauchern auf demselben Weg zugutekommt, nämlich über Massenverfahren. Es kann nicht sein, dass jeder Einzelne vor Gericht läuft, wenn die Unternehmen mit einheitlichen AGB und uniformen Geschäftspraktiken alle Verbraucher letztliche gleich behandeln. Das ist eine ganz wichtige Herausforderung. Und natürlich haben wir auch ein massives Problem mit sozialer Gleichheit, sozialer Gerechtigkeit, das hängt auch ganz stark zusammen mit Liberalisierung und Privatisierung. Hier ist eine Lösung erst einmal noch nicht absehbar.

help.ORF.at: Christoph Schmon, wo sehen Sie – abgesehen von der Rechtsdurchsetzung – die größten Baustellen im europäischen Verbraucherschutz?

Schmon: Vor kurzem hat die Europäische Kommission eine Analyse des geltenden Verbraucherrechts durchgeführt. Es hat sich dabei gezeigt, dass der Verbraucherrechtestandard ganz gut ist. Das ist durchaus ein Qualitätsmerkmal der EU, etwas, worauf man stolz sein kann. Andererseits haben die Daten gezeigt, dass es massive Probleme bei der Rechtsbefolgung durch Unternehmen gibt. Seit 2005 konnte die Anzahl der Rechtsverstöße nicht reduziert werden. Das ist ein sehr schlechtes Zeugnis für die Rechtsdurchsetzung. Die Europäische Kommission und Kommissarin Věra Jourová (Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstellung, Anm.) sind jetzt sehr entschlossen, das Verbraucherrecht weiter zu reformieren und die Rechtsdurchsetzung zu stärken. Angedacht ist, dass in Zukunft Verbraucherschutzorganisationen wie der VKI oder der vzbv nicht nur eine Unterlassungsklage gegen illegale Praktiken führen können, sondern gleichzeitig auch verlangen können, dass Verbraucher auch entschädigt werden, und zwar kollektiv. Wie das jetzt im Detail umgesetzt wird, steht noch nicht fest. Es wird sicher am Ende ein politischer Kompromiss sein.

help.ORF.at: Otmar Lell, Verbraucher gegen Volkswagen – ist das ein Match, dass die Konsumenten gewinnen können?

Lell: Das kann man sicher erst in ein paar Jahren wirklich abschätzen. Erst einmal ist es so, dass der VW-Skandal auch neue Akteure auf den Platz gerufen. Es gibt in Deutschland jetzt viele Anwaltskanzleien, auch finanzkräftige Kanzleien mit US-amerikanischen Hintergrund, die massiv VW-Kunden werben und damit auch ohne gesetzliche Grundlage versuchen, so etwas ähnliches wie eine Sammelklage aufzubauen. Ob das Erfolg haben wird, kann im Moment noch keiner sagen. Die Musterfeststellungklage, die in Deutschland jetzt auf den Weg gebracht wird, soll den VW-Kunden noch helfen, deswegen soll sie auf jeden Fall zum 1. November im Gesetzblatt stehen, bevor die Ansprüche verjähren. Aber ob das Klappt, ob das noch rechtzeitig kommt um auch ausreichend vielen VW-Kunden zu helfen, das kann man im Moment noch nicht sagen.

Das Gespräch führte Matthias Däuble, help.ORF.at.

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