Soft-Close bei Autotür zwickte Finger ab

Elektrische Fensterheber, automatische Heckklappe, Soft-Close bei der Autotür: je moderner das Auto, desto ausgefeilter auch die eingebaute Elektronik. Manchmal allerdings birgt mehr Komfort unerwartete Gefahren, wie eine deutsche Autofahrerin feststellen musste. Ihr Daumen geriet in die selbstschließende Autotür - anschließend fehlte ein Stück des Fingers.

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Bei der sogenannten Soft-Close-Automatik muss man die Türe nur anlehnen, ein Elektromotor zieht sie dann zu. Ein Komfortfeature, das schon seit längerem in Autos der Oberklasse oder oberen Mittelklasse verbaut wird. So wie in dem 5er BMW, denn Frau S. kaufte. Für das ARD Magazin „plusminus“ erzählt sie einem Fernsehteam vom MDR von einem folgenschweren Unfall vor zwei Jahren.

BMW schließt Haftung aus

Sie habe in einer engen Gasse gehalten. Weil sie gleich noch etwas aus dem Auto holen wollte, habe Frau S. die Autotür nur angelehnt und mit dem Daumen offen gehalten. Dann wollte sie einem vorbeifahrenden Auto Platz machen, die Soft-Close-Automatik setzte ein und zog die Tür zu. „Als ich die Tür wieder aufmachte, fiel mir der Finger entgegen“, so Frau S. Im Krankenhaus ließ sich das oberste Daumenglied auch nicht mehr annähen. Frau S. lebt seither mit einem stark verkürzten Daumen.

Als sich Frau S. bei BMW beschwerte, antwortete man ihr, das Unternehmen schließe eine Haftung aufgrund eines Produktfehlers aus. Erstens ziehe die Automatik erst an, wenn die Tür nur mehr sechs bis sieben Millimeter offen sei, hieß es von BMW auf Rückfrage von help.ORF.at. „Ein solches Spaltmaß wurde bereits früher vom TÜV im Hinblick auf mögliche Einklemmgefahren geprüft und nicht beanstandet.“ Zweitens werde in der Betriebsanleitung des Autos davor gewarnt, dass man sich in der Soft-Close Automatik-Tür einklemmen könnte.

Schließmechanismus mit großer Kraft

„Soft“ ist der Schließmechanismus allerdings keineswegs, wie ein Test der „plusminus“-Redaktion zeigt. Der Zuziehmechanismus bricht Bleistifte oder auch dünne Knochen mühelos ab. Rund 800 Newton übe der Elektromotor beim Schließen der Tür aus, sagt Steffan Kerbl, Techniker beim ÖAMTC und Leiter der Testabteilung. „Das ist etwa so, wie wenn sich ein 80 Kilogramm schwerer Erwachsener auf die Tür setzt“, so Kerbl. Diese Kraft sei technisch notwendig, weil der Druck über eine relativ große Fläche ausgeübt werden muss und der Elektromotor auch den Widerstand der Türdichtungen überwinden muss.

Dazu kommt: Dort wo Frau S. in die Tür geriet, direkt bei der Türschnalle, wirkt diese Kraft am stärksten, erklärt Kerbl: „Würde das Ganze oben am Scheibenrahmen passieren, wäre der Schaden vermutlich geringer weil die Tür ein bisschen nachgeben würde.“

Sorgfaltspflicht verletzt?

Hätten die Konstrukteure wissen müssen, dass die Kraft der Soft-Close-Automatik gefährlich werden kann? Eine schwierige Frage, bei der auch das ÖAMTC-Team gespalten ist, erzählt Steffan Kerbl. Er nennt als Beispiel Küchengeräte. Auch da schreiben Richtlinien vor, dass ein Gerät auf dem neuesten Stand der Technik sein muss, was den Schutz vor Verletzungen betrifft. Trotzdem passieren immer wieder Unfälle mit Mixer, Fleischwolf, Blender und Co. Die Frage, welche möglichen Verletzungsgefahren das Unternehmen im Vorfeld schon hätte erkennen müssen, lässt sich laut Kerbl nicht eindeutig beantworten.

Im Fall von Frau S. werden diese Frage wohl die Gerichte klären. Außerdem hat in den USA ein weiterer Betroffener geklagt. Auch in diesem Fall war nach einem Unfall mit der Soft-Close-Automatik ein Stück vom Daumen abgetrennt.

Technische Lösungen denkbar

Technische Lösungen für das Problem gäbe es laut ÖAMTC durchaus. Etwa durch Sensoren im Türrahmen, die Fremdkörper in der Tür registrieren. Die Frage, ob man an einer Lösung des Problems arbeitet beantwortet BMW help.ORF.at gegenüber allerdings so: „Da es sich um keinen Produktfehler handelt, wurde das dort gezeigte Prinzip der Soft-Close-Automatik nicht nachgebessert“.

Ein Test der ARD-„plusminus“ Redaktion zeigt aber, dass neue BMW Modelle bereits mit einer zweistufigen Schließautomatik ausgestattet sein dürften. Sie schließt zuerst um ein paar Millimeter und macht dann etwa eine halbe Sekunde Pause, bevor die Tür endgültig schließt. In dieser Zeit kann ein eingeklemmter Finger noch schnell aus dem Türspalt gezogen werden. Das sei zwar ein erster Schritt, so Kerbl, ideal wäre aber eine Lösung, bei der Sensoren im Türraum Fremdkörper erkennen und den Schließvorgang unterbrechen.

Laut eigenen Angaben hat BMW in Österreich im vergangenen Jahr rund 1.500 Autos mit Soft-Close-Automatik verkauft. Angeboten wird das Feature bereits seit 2001, zu Beginn nur in Oberklasse, inzwischen auch in kleineren Baureihen. Auch Mercedes, Audi und Porsche bieten den Türschließmechanismus an. Wenig Hoffnung hat ÖAMTC-Techniker Kerbl für verunsicherte Kunden, die ihr Geld zurück fordern möchten. Das Gericht kann die Hersteller aber dazu verpflichten einen Rückruf durchzuführen. Ob das passiert, hängt auch davon ab, wie das Verfahren von Frau S. in Deutschland ausgeht.

Alexandra Siebenhofer, help.ORF.at

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