Wirtschaftsvertreter gegen Sammelklage

Rund 20 Milliarden Euro Schadenersatz erhalten VW-Besitzer in den USA wegen des Abgasskandals. Europäische Konsumenten gehen leer aus. In den USA drohen dem Konzern hohe Entschädigungszahlungen und astronomische Geldstrafen. Möglich ist das wegen des US-amerikanischen Modells der Sammelklage. In Europa fordern Verbraucherschützer ein ähnliches Modell. Vertreter der Wirtschaft sind skeptisch.

Vergangene Woche hat der ehemalige Chefjurist des Vereins für Konsumenteninformation (VKI), Peter Kolba, eine Plattform für Sammelklagen unter dem Namen Cobin Claims ins Leben gerufen. Der Verein soll geschädigten Konsumenten helfen, im Rahmen von Massenverfahren zu Ihrem Recht zu kommen.

Auch ohne Rechtsschutzversicherung klagen können

Sendungshinweis:

„Help“, das Ö1-Konsumentenmagazin, jeden Samstag um 11.40 Uhr in Radio Ö1

Der Name Cobin Claims steht für „Consumers“, „Business“ und „Investors“. Die Plattform richtet sich also nicht ausschließlich an Konsumenten, auch Klein- und Mittelbetriebe, etwa Einpersonenunternehmen, sollen das Service nutzen können. Auch wer über keine Rechtsschutzversicherung verfüge, könne somit seine Ansprüche unter Einbeziehung eines Prozesskostenfinanzierers ohne Prozesskostenrisiko vor Gericht geltend machen, so Kolba. Zu zahlen sei ein Kostenbeitrag zwischen 50 und 150 Euro, im Erfolgsfall gehen 20 bis 30 Prozent der erstrittenen Summe an die Prozessfinanzierer, den Rest erhalten die Geschädigten.

Cobin-Gründungsmitglieder Oliver Jaindl, Peter Kolba, Manfred Biegler und der Vorsitzende des Investoren-Beirats Wilhelm Rasinger (v.l.n.r.)

Cobin Claims

Peter Kolba (zweiter von links) bei der Präsentation von Cobin Claims

Peter Kolba kämpft schon lange für die Verankerung der Sammelklage nach US-amerikanischem Vorbild im österreichischen Recht. Diese wäre ein scharfes Schwert gegen unredliche Konzerne. Kolba illustriert das gerne am Beispiel rund um den Abgasskandal bei Volkswagen. VW habe in den USA eine Summe von 20 Milliarden Euro Schadenersatz an US-Konsumenten gezahlt, europäische Kunden, die von den Manipulationen betroffen seien, gehen leer aus. In Europa sei der Wolfsburger Automobilkonzern nicht einmal bereit, über eventuelle Wiedergutmachungen zu verhandeln, so Kolba. Dies liege nicht zuletzt an den wirksamen Waffen, die der US-Justiz zur Verfügung stehen.

Die US-Sammelklage: „Ein juristisches Schwert“

Nach US-Recht kann ein einzelner Anwalt ein Unternehmen im Namen aller von einem Schaden betroffenen Kunden klagen. Daher geht es in solchen Fällen meist um beträchtliche Schadenssummen und potentielle Wiedergutmachungszahlungen. Einem Unternehmen drohen darüber hinaus im Fall einer Verurteilung saftige Strafen, oft in Millionen- oder gar Milliardenhöhe. Dies hätte zur Folge, dass auch Konkurrenzunternehmen dreimal überlegen würden, ob sie tatsächlich eine Verbraucherklage riskieren sollen, so Kolba.

Statue der Justitia im Justizpalast

APA/Hans Klaus Techt

Mit der US-Sammelklage hätte Justitia ein mächtiges Schwert zur Hand, meint Jurist Kolba

In Österreich müssen sich betroffene Konsumenten einer Klage aktiv anschließen. Das bedeutet, dass es bei Massenschäden meist wesentlich mehr Betroffene gibt als Kläger, die letztlich vor Gericht ziehen. Da die möglichen Entschädigungssummen daher in jedem Fall weit geringer ausfallen, sei der Rechtsbruch für Unternehmen hierzulande quasi ein lohnendes Geschäftsmodell, weil Unternehmen mangels Klage einen zu Unrecht erwirtschafteten Gewinn meist behalten könnten, so Kolbas Vorwurf.

„Für Unternehmen lohnt sich der Rechtsbruch“

Ein Beispiel: Im Jahr 2009 hat der Gesetzgeber untersagt, Zahlscheingebühren einzuheben, verrechnet wurden sie von vielen Unternehmen dennoch. Erst fünf Jahre später hat der Oberste Gerichtshof die Praxis endgültig abgestellt. Etwa 8000 Verbraucher haben sich in der Folge einer Klage des VKI angeschlossen und ihr Geld zurückbekommen. Betroffen dürften aber etliche hunderttausend Kunden gewesen sein. Da sich die überwiegende Mehrheit der geschädigten Verbraucher nicht an der Klage beteiligt habe, konnten die verurteilten Unternehmen einen Großteil der zu Unrecht eingehobenen Zahlscheingebühren auf der Habenseite verbuchen. Eine reformierte Sammelklage, bei der alle betroffenen Kunden in einem Verfahren vertreten seien, würde diesen Missstand abstellen, so Kolba.

VKI Verfahren gegen AWD

APA/Herbert Pfarrhofer

2009 kämpfte Kolba auf Seiten des VKI gegen den Finanzdienstleister AWD

Die Verbandsklage als enormes Kostenrisiko

Ein weiteres Problem der „Sammelklage österreichischer Prägung“ verortet Kolba in der Tatsache, dass es hierzulande nur offiziellen Vereinen oder Organisationen möglich ist, eine Gruppenklage einzubringen. Die Möglichkeit, dass sich etwa eine Gruppe von Privatpersonen gemeinsam an ein Gericht wende, sei nicht gegeben. Dies habe unter anderem zur Folge, dass die Konsumenten ihre individuellen Klagsrechte an den Verein abtreten müssten. Der Verein selbst trage dabei aber das gesamte Kostenrisiko, wodurch Organisationen wie der VKI das Mittel der Verbandsklage nur mit großer Vorsicht einsetzen könnten.

Als das Konsumentenschutzgesetz im Jahr 1979 in Österreich eingeführt wurde, gab es eine Verbandsklagslegitimation für die Sozialpartner und für den VKI, so Kolba. Der Jurist mutmaßt, dass der Gesetzgeber wollte, dass das Instrument der Verbandsklage niemals zur Anwendung gelangt. Man sei wohl überzeugt gewesen, so Kolba, dass Organisationen wie Wirtschaftskammer, Landwirtschaftskammer, ÖBB oder Seniorenrat niemals von diesem Recht Gebrauch machen würden. Erst der VKI habe dieses System durchbrochen. Mittlerweile führen sowohl der VKI als auch die Arbeiterkammern immer wieder erfolgreich Verbandsklagen und Musterprozesse.

WKO: Unternehmen werden massiv unter Druck gesetzt

Bei der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) steht man dem Instrument einer Sammelklage nach US-Vorbild grundsätzlich ablehnend gegenüber. Statt eines scharfen Schwerts für den Verbraucherschutz erkennt man hier eher ein Folterwerkzeug für Unternehmer. Im amerikanischen Modell gehe es vor allem darum, Druck aufzubauen, sowohl durch Strafandrohungen als auch medial, meint die Leiterin der Rechtsabteilung in der WKO, Rosemarie Schön. Reputationsschäden eines Unternehmens würden willentlich in Kauf genommen und seien sogar Teil des Kalküls.

Wirtschaftskammer Österreich

APA/Helmut Fohringer

Die Wirtschaftskammer lehnt US-amerikanische Verhältnisse in der heimischen Justiz ab

Darüber hinaus diene die Sammelklage nach US-Vorbild eher den Interessen der Anwälte als denen der Konsumenten, so die Juristin. In Wahrheit handle es sich hier um Geschäftsmodelle, die unter dem Vorwand des Verbraucherschutzes entwickelt worden seien, um exorbitante Honorare für Anwaltsbüros, Stiftungskonstruktionen und Prozessfinanzierer zu lukrieren.

Ein lukratives Geschäft für Anwälte

Peter Kolba räumt ein, dass bei US-Sammelklagen auch finanzielle Interessen der Anwälte eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Dieser Anreiz sei jedoch notwendig, denn anderenfalls würde sich kein Jurist finden, der solch aufwendige Massenverfahren führt. Die Blockadehaltung der Wirtschaftskammer könne er nicht nachvollziehen. Schließlich würde eine effiziente Gruppenklage auch dazu führen, dass die Verfahrensdauer verkürzt wird. Davon würden nicht zuletzt auch die Unternehmen profitieren, so Kolba.

Bei der Wirtschaftskammer sieht man das wiederum anders. Die Gruppenklage sei ein derart komplexes Verfahren, dass es kaum geeignet sei, die Verfahrensdauer zu senken oder Kosten zu reduzieren. Die Wirtschaftskammer erachtet die derzeitigen Regelungen als ausreichend, um Verbraucherinteressen durchzusetzen. Der Konsument sei mündig genug, um sich einer eventuellen Klage aus eigenem Antrieb anzuschließen, so WKO-Juristin Schön: „Die Fälle, die wir kennen, werden entsprechend medial kommuniziert, es kann mir niemand sagen, dass man davon nicht erfahren könnte.“

Reform seit 2007 in der Schublade

Justizminister Wolfgang Brandstetter hat Ende 2016 angekündigt, eine Reform der Sammellklage in Österreich auf den Weg zu bringen. Derzeit seien mehrere Modelle in Begutachtung, so werde etwa das niederländische Modell genauer geprüft. Ein entsprechndes Reformpapier befindet sich bereits seit 2007 in der Schublade des Justizministeriums. Peter Kolba bleibt trotz dieser Ankündigung skeptisch. Mittlerweile hätten drei Regierungen entsprechende Vorhaben im Programm gehabt, passiert sei seit mittlerweile zehn Jahren überhaupt nichts, so Kolba: „Ich glaube das einfach nicht mehr.“

Paul Urban Blaha, help.ORF.at

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