Kaum Chancen auf Schmerzensgeld
Im Streit um mangelhafte Silikon-Brustimplantate aus Frankreich hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Prüfpflichten von Zertifizierungsstellen präzisiert. Laut der nun veröffentlichten Entscheidung sind die Prüfstellen nicht zu unangemeldeten Inspektionen verpflichtet. Bei Hinweisen auf Produktmängel müssten sie aber „alle erforderlichen Maßnahmen“ zur Qualitätssicherung ergreifen.
Billiges Industriesilikon verwendet
Ausgangspunkt der Verfahrens ist der Betrug des mittlerweile insolventen französischen Brustimplantateherstellers Poly Implant Prothese (PIP). Er befüllte seine Brustimplantate statt mit Spezialsilikon mit billigerem Industriesilikon, was zu Schäden an den Silikonpölstern führte. Weltweit ließen sich Zehntausende Frauen die Implantate einsetzen. Französische Behörden stoppten 2010 den Vertrieb, weil sich Berichte über geplatzte oder undichte Silikonpölster häuften.
APA/EPA File/Guillaume Horcajuel
Betroffene fordert Schmerzengeld von TÜV
Eine deutsche Klägerin ließ sich 2008 die Implantate einsetzen und nach den Warnungen der Behörden 2010 wieder entfernen. Sie fordert vom TÜV Rheinland, der das PIP-Qualitätssicherungssystem zertifizierte, Schmerzengeld in Höhe von 40.000 Euro und macht geltend, der TÜV hätte durch Einsicht in Lieferscheine und Rechnungen erkennen können, dass der Hersteller nicht das genehmigte Silikon verwendete. Der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) legte daraufhin den Fall wegen europarechtlicher Fragen dem EuGH vor.
Prüfstelle durchaus in der Pflicht
Dem jetzigen Luxemburger Urteil zufolge ist eine Prüfungsstelle zu solch einer Kontrolle erst verpflichtet, wenn sie „Hinweise“ hat, dass der Hersteller Qualitätsstandards nicht einhält. Ob die deutsche Klägerin damit Anspruch auf Entschädigung hat, hängt laut den Richtern nun davon ab, ab wann der TÜV Rheinland von den Pflichtverletzungen des Herstellers wusste.
Der TÜV hatte dazu erklärt, er sei von PIP ebenso wie die französischen Überwachungsbehörden jahrelang systematisch betrogen worden. Nach Bekanntwerden des Betrugs Ende März 2010 habe der TÜV die Zertifikate für PIP „ausgesetzt“ und auch selbst Strafanzeige gegen PIP gestellt.
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70 Geschädigte aus Österreich
Der TÜV begrüßte das EuGH-Urteil und sieht sich in seiner Rechtsauffassung „in entscheidenden Punkten bestätigt“. Das Unternehmen sei deshalb zuversichtlich, dass der deutsche BGH und Gerichte in Frankreich nun „zu dem Schluss kommen“, dass der TÜV seine Aufgaben „im Einklang mit allen Gesetzen wahrgenommen“ habe, erklärte ein Sprecher.
Der österreichische Verein für Konsumenteninformation (VKI) sah vorerst einen „Erfolg für die Opfer“. Dabei handle es sich um eine vorläufige Einschätzung, so VKI-Juristin Ulrike Wolf. Sie müsse noch das gesamte Urteil näher betrachten. Wenn nun Verletzungen seitens des TÜV vorliegen, weil es etwaige Hinweise auf Mängel gab, seien Schmerzengeld-Zahlungen weiter möglich, betonte Wolf. Der VKI vertritt knapp 70 Geschädigte aus Österreich. So sollen Entschädigungen bis zu einem Höchstbetrag von 3.000 Euro erreicht werden.
Publiziert am 16.02.2017