Rezeptfreie Schlafmittel im Test

Viele Österreicher quälen sich wegen Schlafproblemen mehr schlecht als recht durch die Nacht. Da ist der Griff zu rezeptfreien Schlafmitteln verlockend. Eine aktuelle Untersuchung kommt allerdings zu einem ernüchternden Ergebnis: Die Wirkung von Baldrian, Passionsblume und Co. ist mehr als fraglich.

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Etwa 20 Prozent der Österreicher leiden zumindest einmal im Leben an einer schwerwiegenderen Schlafstörung. Über zwei Millionen Packungen rezeptfreier Beruhigungs- und Schlafpräparate werden jährlich in Österreich verkauft. Der Umsatz liegt bei über 24 Millionen Euro im Jahr, wie die Marktforscher von IMS Health errechneten.

Der große Renner sind pflanzliche Mittel mit Extrakten aus Baldrian, Passionsblume und Hopfen sowie müde machende Allergiemedikamente. Die Namen der Mittelchen klingen vielversprechend: „Ein- und Durchschlaf“-Tropfen, „Calmaben“-Tabletten und „Schlafwohl“-Dragees. Doch helfen die Präparate wirklich?

Schlafende Frau

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Viele Österreicher schlafen erst nach langem Hin- und Herwälzen erschöpft ein

Alle getesteten Produkte „wenig überzeugend“

Die deutsche Zeitschrift „Öko-Test“ hat 18 pflanzliche und sieben chemische Schlafmittel auf ihre Wirksamkeit hin beurteilt. Die vermeintlichen Schlafbringer wurden dabei nicht von Probanden eingenommen, sondern man habe geschaut, ob es Studien gibt, die belegen, dass diese Mittel überhaupt wirken, erklärt „Öko-Test“-Geschäftsführer Jürgen Stellpflug im Gespräch mit help.ORF.at.

Das Ergebnis: Wissenschaftliche Studien, die untermauern, dass die pflanzlichen oder auch die chemischen Schlafmittel wirken, gibt es nicht. Sämtliche Mittel im Test wurden bezüglich ihrer Wirksamkeit als „wenig überzeugend“ beurteilt. „Da muss man sagen, das ist leider rausgeschmissenes Geld,“ so Stellpflug.

Antihistaminika: Keine überzeugenden Studien

Bei den rezeptfreien chemischen Schlaftabletten handelt es sich um veraltete Antihistaminika mit dem Wirkstoff Diphenhydramin oder dem Wirkstoff Doxylamin, die inzwischen nicht mehr als Allergiemittel eingesetzt werden, da sie als Nebenwirkung müde machen. Genau diese Nebenwirkung wird nun als Schlafmittel vermarktet. In Österreich gehören in diesem Bereich etwa Calmaben-Dragees (Diphenhydramin) zu den Topsellern.

„Das heißt aber nicht, dass es als Schlafmittel dann tatsächlich auch wirkt“, so Stellpflug. Dazu kommt, dass Patientinnen und Patienten sehr schnell eine Toleranz gegenüber den Antihistaminika entwickeln. Schon nach einer Woche hat sich der Körper an die Stoffe gewöhnt, sodass sie allein deswegen schon nicht mehr wirken können. Außerdem besitzen sie einen ganzen Katalog an kritischen Nebenwirkungen, warnt „Öko-Test“.

Auch kein Nachweis für Wirksamkeit von Baldrian

Die größte Überraschung brachte allerdings die Untersuchung der pflanzlichen Mittel wie etwa Baldrian. Obwohl Baldrian im Allgemeinen als das Hausmittel bei Schlafstörungen gilt, gibt es keinen wissenschaftlichen Nachweis für die Wirksamkeit.

Schlafender Mann

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Mit einigen Tricks kann man den eigenen Schlaf verbessern

Oft hapere es schon an der Zusammensetzung der Präparate, so Stellpflug. „In zwei Produkten (Sedacur Forte und Kytta-Sedativum, beide in Österreich nicht erhältlich, Anm.) ist Baldrian so niedrig dosiert, dass diese Produkte gar nicht helfen können. Aber auch bei den richtig dosierten Produkten: Einen Beleg, dass sie bei Schlafstörungen helfen, gibt es nicht.“

Zu den in Österreich meistverkauften Produkten gehören hier etwa Passedan (Passionsfrucht), die Ein- & Durchschlaf Dragees von Dr. Böhm (Baldrian, Passionsblume und Melisse), Sanova Nachtdragees (Baldrian) und die Nervenruh forte Dragees (Baldrian, Passionsblume, Hopfen) von Klosterfrau.

Möglich, aber nicht belegt: Beruhigende Wirkung

Ist es also nur ein Placeboeffekt? Müssen Betroffene daran glauben, damit Baldrian wirkt? Auch Robert Stepansky, Leiter des Schlaflabors bei den Barmherzigen Brüdern in Wien, verweist auf die magere Datenlage. Es gäbe zwar durchaus Hinweise, dass Baldrian eine beruhigende Wirkung hat, so Stepansky. Etwa wenn jemand nicht einschlafen kann, weil er sehr aufgeregt ist und nicht abschalten kann. Bewiesen sei das allerdings nicht. „Nach wie vor gibt es keine großangelegten Studien, wo auch im Schlaflabor die Wirkung im Vergleich zu Placebo nachgewiesen worden ist“, so Stepansky.

Wann man von einer Schlafstörung spricht

Außerdem sei „Schlaflosigkeit nicht gleich Schlaflosigkeit“, erklärt der Experte. Wenn man einmal abends nicht einschlafen kann, weil der Tag anstrengend war und man im Bett noch länger darüber grübelt, ist das noch kein Grund zur Besorgnis. Von einer Schlafstörung spricht man erst, wenn über die Dauer von mindestens einem Monat regelmäßig, d. h. zumindest an drei Tagen die Woche, nicht gut geschlafen werden kann und gleichzeitig tagsüber eine Beeinträchtigung des Befindens vorliegt.

Hintergrund sind oft psychische Auslöser. Dazu zählen etwa akute Belastungssituationen wie der Verlust eines geliebten Menschen oder finanzielle Sorgen, auch Schmerzzustände oder eine Depression können Grund für die Schlafprobleme sein. Erst wenn diese Ursache beseitigt ist, könne sich der Schlaf verbessern, so Stepansky.

Rahmenbedingungen für guten Schlaf schaffen

Bevor Betroffene zu Tabletten greifen, sollten erst einmal optimale Rahmenbedingungen für den Schlaf geschaffen werden. Dazu gehören regelmäßige Schlafenszeiten und immer gleiche Abläufe vor dem Zubettgehen. Das Schlafzimmer sollte außerdem nicht als Aufenthaltsraum für den ganzen Tag herhalten, sondern wirklich nur zum Schlafen genutzt werden. Auch Koffein, schweres Essen, anstrengender Sport und Alkohol sollten abends vermieden werden. Körperliche Bewegung am Tag, am besten im Freien in der Sonne, kann jedoch dem Schlaf durchaus förderlich sein.

Stellt sich trotzdem keine Besserung ein, empfiehlt Stepansky den Gang zum Hausarzt. Hier können körperliche Ursachen ausgeschlossen und eine individuelle Therapie erstellt werden. „Eine Schlafstörung ist eine Erkrankung wie jede andere, die aber besonders belastend sein kann“, so der Experte. „Ich kann nicht empfehlen, auf eigene Faust irgendwelche Mittel auszuprobieren, egal was. Es gibt gewisse Probleme, die man nicht mit Substanzen lösen kann.“ Betroffene sollten sich lieber jemandem anvertrauen und herausfinden, was die Ursache der Schlafstörung sei, um diese beseitigen zu können.

Beate Macura, help.ORF.at

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