In Österreich sollen nur noch EU-Mindeststandards gelten

Seit 1.Juli gilt in Österreich ein neues Deregulierungsgesetz. Darin enthalten ist auch eine Abkehr vom „Gold-Plating-Prinzip“. Das bedeutet, dass Richtlinien der Europäischen Union nicht mehr ohne triftigen Grund übererfüllt werden sollen. Bei der Umsetzung in nationales Recht sollen künftig grundsätzlich die von Brüssel vorgegebenen Mindeststandards gelten.

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Lange Zeit gefiel sich Österreich in der Rolle eines EU-Musterschülers. Richtlinien aus Brüssel wurden häufig übererfüllt. Etwa im Fall des digitalen Stromzählers Smart Meter. Die EU verlangt, dass bis zum Jahr 2020 insgesamt 80 Prozent der europäischen Haushalte auf den neuen Standard umgestellt werden. Österreich möchte gleich 96 Prozent der Haushalte umrüsten, und das bis 2019. Ein weiteres Beispiel wäre die erst kürzlich entschärfte Allergenverordnung. Diese wurde in Österreich dermaßen streng ausgelegt, dass man den Allergentafeln fast an jeder Straßenecke begegnen konnte. Mit der „Übererfüllung“ solcher europäischer Richtlinien soll nun aber Schluss sein.

Kein „Gold-Plating“ mehr in Österreich

Im Rahmen eines neuen Deregulierungsgesetzes hat der Nationalrat eine Abkehr von dem, wie es in der Fachsprache heißt, „Gold-Plating“ beschlossen. Ein Begriff, der ursprünglich aus der US-amerikanischen Managementsprache kommt und eben diese rigorose Auslegung von Richtlinien und Verordnungen ausdrückt. Die Maßnahmen werden quasi vergoldet. Das neue Deregulierungsgesetz, welches nun festlegt, dass „Gold-Plating“ der Vergangenheit angehören soll, ist seit 1.Juli gültig und geht unter anderem auf eine Initiative rund um den ehemaligen NEOS-Abgeordneten Niko Alm zurück.

Mit der Abkehr vom „Gold-Plating“ sollen unter anderem unnötige bürokratische Hürden verhindert und die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft gefördert werden. In der Präambel des Gesetzestextes heißt es konkret: „Bei der Vorbereitung der Umsetzung von Rechtsakten der Europäischen Union ist darauf zu achten, dass die vorgegebenen Standards nicht ohne Grund übererfüllt werden.“

Richtlinien: Brüssel gibt nur Rahmenbedingungen vor

Für den Politologen Stefan Brocza bergen derartige gesetzliche Verankerungen einige Gefahren. Brocza ist Experte für Europapolitik und internationale Beziehungen. Er verfügt über 20 Jahre Berufserfahrung in nationalen und internationalen Behörden und Organisationen, auch innerhalb der EU. In Brüssel müsse man stets die Interessen von 28 Staaten berücksichtigen, so Brocza. Dies habe zur Folge, dass man sich vor der Verabschiedung einer Richtlinie im Regelfall immer auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen müsse. Festgelegt würden lediglich Mindeststandards, auf die sich tatsächlich alle Mitglieder verständigen können. Sollten Staaten in bestimmten Bereichen weitergehende Standards festlegen wollen, sei dies nicht nur gestattet, sondern sogar erwünscht, so der Experte.

Staaten, die nun gesetzlich den EU-Mindeststandard zur Norm erheben, würden damit die Möglichkeiten einschränken, eine eigenständige innerstaatliche Politik zu betreiben, indem sie sich quasi selbst per Gesetz verbieten, eigene Schwerpunkte zu setzen.

Experte sieht hohe heimische Standards in Gefahr

Auch wenn eine vorsichtige Auslegung des „Gold-Plating-Prinzips“ durchaus eine Berechtigung habe – selbst die EU-Kommission hat in einem Papier von 2014 vor einer allzu restriktiven Interpretation der Brüsseler Richtlinien gewarnt - sieht Brocza speziell solche Bereiche bedroht, in denen man in Österreich von jeher hohe Standards gewohnt ist. Etwa bei der Lebensmittelsicherheit, dem Tierschutz oder auch beim Konsumentenschutz.

Diese hohen Standards würden in vielen Bereichen wohl heruntergefahren, meint Brocza. Etwa im Lebensmittelbereich habe man in Österreich in den letzten Jahrzehnten den Ruf als „Feinkostladen“ Europas stets verteidigt. Diese und ähnliche Marken würden als Folge des neuen Deregulierungsgesetzes nun aufs Spiel gesetzt, so der Experte.

Mindeststandards in vielen Fällen nicht ausreichend

Dass EU-Mindeststandards nicht grundsätzlich das Gelbe vom Ei sein müssen, zeigt sich auch im Konsumentenschutz. Etwa im Bereich der Gewährleistung. Im Rahmen der Gewährleistung können Verbraucher defekte Produkte innerhalb von zwei Jahren nach Kauf an den Händler zurückgeben – der Händler muss das Produkt reparieren, austauschen oder den Kaufpreis rückerstatten. Doch bereits nach sechs Monaten haben Kunden in Österreich kaum noch Chancen, ihr Recht auf Gewährleistung geltend zu machen – Stichwort Beweislastumkehr. In anderen EU-Staaten sind die Gewährleistungsfristen wesentlich großzügiger ausgelegt.

Verbraucherschützer wünschen schon lange Nachbesserungen auf diesem Gebiet. Dass diese Nachbesserungen nach inkrafttreten des neuen Deregulierungsgesetztes nun aber vom österreichischen Staat ausgehen werden, sei praktisch auszuschließen, meint Brocza. Hier werde man wohl in Zukunft verstärkt auf die Reformfreudigkeit in Brüssel angewiesen sein.

Paul Urban Blaha, help.ORF.at

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