Gewaltvideos: Was Opfer tun können

Eine Gruppe Jugendlicher schlägt auf ein Mädchen ein, das alles seltsam ruhig über sich ergehen lässt. Derart verstörende Gewaltorgien nehmen in Zeiten ständig verfügbarer Smartphone-Kameras zu. Mittlerweile hat Facebook das verstörende Video löschen lassen. Zurück bleiben Opfer - und viele Fragen. Wer ist verantwortlich? Tragen soziale Medien eine Mitschuld? Wer entschädigt die Betroffenen?

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Ein auf Facebook veröffentlichtes Gewaltvideo hat diese Woche Österreich schockiert. Schockiert und dennoch offenbar auch fasziniert. Über 4,5 Millionen mal wurden die verstörenden Bilder von Jugendlichen, die auf ein unbeteiligt wirkendes Mädchen einschlagen, angesehen, bevor Facebook schließlich dem Drängen der Behörden nachgegeben und das Video entfernt hat. Das Soziale Netzwerk, das gegen jeden Busenblitzer mit ungewöhnlicher Schärfe vorgeht, zeigt gegenüber realer Gewalt eine hohe Toleranz und wird dafür in Europa immer heftiger kritisiert. Kann man den US-Konzern auch strafrechtlich zur Verantwortung ziehen, wenn Videos auf seinen Servern lagern, auf denen Menschen vor der ganzen Netzgemeinde erniedrigt werden?

Facebook: für Inhalt strafrechtlich nicht verantwortlich

Derzeit sei das eher schwierig, meint die Medienanwältin Maria Windhager, sie hat Facebook bereits in anderen Fällen auf Unterlassung und die Herausgabe von Nutzerdaten geklagt. Das Hauptproblem sei, dass Facebook lediglich als Plattform fungiere, die andere nutzen würden, um zu kommunizieren. So könne man von Facebook zwar einfordern, dass es die publizierten Inhalte kontrolliere, strafrechtlich könne man das Unternehmen aber derzeit nicht verantwortlich machen.

Wenn man juristisch gegen Facebook vorgehen möchte, stellt sich unweigerlich die Frage, welches Recht zur Anwendung kommt. Facebook steht in der Regel auf dem Standpunkt, dass für das Unternehmen US-Recht gelte, da sich dort der Firmensitz befindet. Maria Windhager würde den Konzern gerne nach österreichischem Recht zur Verantwortung ziehen, da der Persönlichkeitsschutz hierzulande ihrer Meinung nach recht umfassend geregelt sei.

Irland: Alle relevanten Juristen arbeiten für Facebook

Juristisch einfacher wäre es wohl, das Unternehmen in Irland zu klagen. Dort hat der Konzern seine europäische Niederlassung. Der Standort ist jedoch, so scheint es, nicht zufällig gewählt. Es sei nämlich gar nicht so einfach, etwas über das irische Rechtssystem in den relevanten Bereichen zu erfahren, meint Windhager. Dies scheitere vor allem daran, dass man kaum einen Rechtsanwalt fände, der Auskunft geben könne. Die wenigen Anwälte, die mit der Materie Persönlichkeitsrecht befasst seien, stünden bereits bei Facebook unter Vertrag.

Zwei Burschen streiten

APA/DPA/Markus Fuehrer

Immer mehr Jugendliche filmen Gewalttaten, um sie dann online zu stellen

Windhager will weiterhin versuchen, Facebook vor ein österreichisches Gericht zu zitieren. Das wird aber wohl aber eine Weile dauern. Was können derweil Menschen tun, die im Internet gedemütigt wurden? Wen können sie zur Verantwortung ziehen, bei wem eine Wiedergutmachung einfordern? Die Spuren von Gewalt bleiben wohl mindestens ebenso lange erhalten wie die Spuren gelöschter Inhalte im Datenstrom des Internet. Dies zeige sich auch in dem konkreten Fall deutlich, argumentiert die Anwältin für Medien- und Persönlichkeitsrecht Maria Windhager. Denn obwohl Facebook inzwischen dem Drängen der Behörden nachgegeben und das Video entfernt habe, sei es noch über einen längeren Zeitraum abrufbar gewesen. Zahlreiche Boulevardmedien hatten die Szene online gestellt, auf der Internet-Plattform der Kronen Zeitung war sie noch bis zu Redaktionsschluss am vergangenen Donnerstag abrufbar.

Upload des Gewaltvideos ist strafbar

Die Juristin vertritt die Auffassung, dass Personen wie auch Medienunternehmen, die das Video im Netz hochgeladen haben, juristisch gesehen Medieninhaber sind, die einen verbotenen Inhalt verbreitet haben. Was aus Sicht Windhagers dazu führe, dass Betroffene einen so genannten immateriellen Schaden geltend machen könnten, was letztlich auch zur Folge hätte, dass das Opfer finanziell zu entschädigen sei. Wie hoch so eine Entschädigung ausfallen würde, sei schwer zu beziffern, meint Windhager. Privatpersonen müssten aber mit Beträgen bis zu 5000 Euro rechnen. Bei Medien könnten sogar bis zu 15.000 Euro fällig werden, und zwar pro Medium und pro Veröffentlichung.

Ein junges Mädchen wird misshandelt, über 4,5 Millionen Aufrufe sind die Folge. Und ansehen darf man das Video tatsächlich, so Windhager. Das Betrachten realer Gewalt im Internet sei hierzulande eher eine ethische als eine juristische Frage. Wer versuche, dies zu verbieten, würde in Österreich wohl auf wenig Verständnis stoßen. In der öffentlichen Situation würden viele die Auffassung vertreten, dass solche Bilder einen aufklärerischen Effekt hätten und dass sie helfen würden, solche Missstände zu beseitigen. Es gäbe in Österreich sehr wenig Bewusstsein für Opferschutz, so die Juristin.

Schnell handeln, um Verbreitung im Netz zu stoppen

Opfern von Internetgewalt rät Windhager, eine Sicherheitskopie des Materials für Beweiszwecke zu erstellen und zu beobachten, wer die Aufzeichnungen im Netz verbreitet. In jedem Fall sei wichtig, dass man schnell handle, um eine Verbreitung der verletzenden Szenen möglichst einschränken zu können. Außerdem sollte man Hilfe bei einer entsprechenden Hilfsorganisation suchen, letzten Endes sei auch juristischer Beistand zu empfehlen. Interviews sollte man keine geben und den Kontakt zur Presse generell meiden. Dies könnte im Zweifelsfall die Chancen vor Gericht beeinträchtigen, da Anwälte dann argumentieren könnten, dass die Betroffenen versucht hätten Kapital aus Ihrer Situation zu schlagen.

Paul Urban Blaha, help.ORF.at

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